Mara und der Feuerbringer
…
Sie blickte auf das blonde Häuflein Elend am Boden und fühlte sich hundsmiserabel. Ohne weiter nachzudenken, beugte sich Mara zu Larissa hinunter und wollte ihr gerade die Hand auf die Stirn legen. Doch da ertönte die Stimme von Erdkundelehrer Haase, der heute mit Pausenaufsicht dran war und dieser Aufgabe wohl lieber in der trockenen Aula nachgekommen war. Während er seinen massigen Körper mitsamt dem dicken Schnauzbart durch die Schüler quetschte, rief er immer wieder: »Auseinander! Hier gibt es nichts mehr zu sehen!«
Das stimmte natürlich nicht, denn schließlich war der Anblick einer grasverschmiert auf dem Boden kauernden Larissa mit verheultem Make-up ganz großes Kino!
Als sich Herr Haase zu ihr herunterbeugte, um ihren Puls zu fühlen, schlang sie sofort die Arme um ihn und begann so bitterlich zu weinen, dass Mara noch mehr Mitleid mit ihr hatte. Selbst die hartgesottensten Schüler steckten jetzt ihre Fotohandys weg und blickten betreten zu Boden.
Der Lehrer war von der Situation völlig überfordert und stammelte Klassiker wie »Ist ja schon gut« und »Beruhige dich doch erst einmal«. Aber er wagte es auch nicht, sich aus Larissas Umklammerung zu lösen. Vermutlich hätte er es auch nicht geschafft, denn sie hatte ihre Arme so eng um seinen Hals geschlungen, dass er kaum noch Luft bekam.
So blieb Herrn Haase schließlich nichts anderes übrig, als Larissa hochzuheben und mit rotem Gesicht zurück ins Gebäude zu tragen, bevor sie ihm noch die Luft abdrückte.
Mara wusste, dass Herr Haase Larissa in das Krankenzimmer neben dem Sekretariat bringen würde. Sie sah sich noch einmal nach demkleinen dicken Jungen um, aber seltsamerweise war der wie vom Erdboden verschluckt. Komisch, dachte sie noch, während sie schon hinter Herrn Haase und seiner wimmernden Last ins Schulgebäude lief.
Ihr auf dem Fuße folgte ein schlechtes Gewissen von der Größe eines Öltankers.
Kapitel 10
M ara stand ganz alleine vor dem Krankenzimmer im Sekretariatsflur. Von Larissas Clique war niemand da. Von einem Moment auf den anderen war die coole Larissa die Definition von Peinlichkeit geworden. Vermutlich würde man von heute an Peinlichkeit in Einheiten von null bis hundert Larissas berechnen.
Mara schämte sich sofort, dass sie darüber auch nur nachdachte. Obwohl, war das nicht genau das, was sie gewollt hatte? Darauf hatte Mara keine richtige Antwort und das gefiel ihr gar nicht.
In diesem Moment öffnete sich die Tür und Herr Haase trat in den Flur. »Bist du eine Freundin von Larissa Richard?«
»Wir gehen in dieselbe Klasse«, antwortete Mara ausweichend, aber Herrn Haase schien das zu genügen. »Ich muss zum Unterricht. Die Ärztin kommt gleich. Bitte pass solange auf Larissa auf, und wenn etwas ist, sag im Sekretariat Bescheid, ja?«
Mara zögerte. Aber dann nickte sie, und Herr Haase brummelte irgendetwas in seinen Schnauzbart, das man mit ein bisschen Fantasie als eine Art Dank interpretieren konnte. Sekunden später eilte er auch schon den Flur hinunter Richtung Treppenhaus.
Mara trat in das kleine Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Der Raum bestand im Wesentlichen aus einem Fenster, einer Krankenliege,einem Stuhl, einem Waschbecken mit Handtuchhalter und der Tür. Das Zimmer war so klein, dass alle Objekte und Personen darin sich gegenseitig höchst fatal blockierten: Wenn man zum Fenster wollte, musste man erst den Stuhl unter das Waschbecken schieben. Das ging aber nur, wenn man den Handtuchhalter an die Wand klappte. Wenn man jedoch an das Waschbecken wollte, musste man erst den Stuhl gegen die Krankenliege kippen, bis die Armlehnen daranstießen, und sich dann dahinter vorbeizwängen. Vergaß man aber, vor dem Händewaschen auch den Handtuchhalter wieder vorzuklappen, kam man nach Benutzung des Waschbeckens nicht mehr an das Handtuch. Einen kleineren Stuhl zu besorgen war kaum möglich, denn das war schon einer der kleinsten im gesamten Schulgebäude, wie er nur in den untersten Klassen verwendet wurde. Wenn man sich auf diesen Stuhl setzte, war man in genau der richtigen Höhe, um der Kopfstütze an der Liege mal zu sagen, was man einer Kopfstütze immer schon mal sagen wollte. Um mit dem Kranken obendrauf zu kommunizieren, saß man allerdings viel zu niedrig.
Der richtige Raum also, um innerhalb weniger Minuten die Nerven zu verlieren, dafür als Krankenzimmer perfekt geeignet, um sich seine eigenen Insassen herzustellen. Na, hoffentlich war die Schulärztin schlanker als
Weitere Kostenlose Bücher