Mara und der Feuerbringer
Englisch war nicht unbedingt Maras Lieblingsfach, aber für diese paar Brocken reichte es gerade so. Außerdem sprach der Mann ja laut und auch langsam genug, da er von der Schlepperei noch außer Atem war.
Und gerade als Mara den Mann genauer musterte und sich fragte, ob das auffallend schwarze Haar vielleicht sogar ein Toupet war, da er darunter verdächtig hervorschwitzte, passierte es. Der Amerikaner sah auf und starrte ihr mit einem verlorenen Blick in die Augen. Mara erschrak, denn seine Pupillen glänzten tiefschwarz, und sie kannte diese Augen viel zu gut … und erschrak noch mehr, als er klar und deutlich ein Wort an sie richtete.
»Hilf.«
»W… was?«, stammelte Mara.
Doch da hatte sich der Blick des Mannes wieder in den U-Bahn-Plan versenkt.
Mara war noch viel zu schockiert, um den Blick von ihm abzuwenden, und schließlich bemerkte der Tourist, dass er von einemvierzehnjährigen Mädchen angestarrt wurde. »Can I help you?«, fragte er verbindlich und hätte dabei nicht normaler aussehen können.
Mara war sofort klar, dass der Amerikaner nichts von alldem gerade eben mitbekommen hatte. Was mach ich denn jetzt, dachte sie hektisch und entschloss sich dann zum denkbar Peinlichsten. »Äh … no, jes, ei äm fein, äh … senk ju«, stotterte sie höchst armselig und dachte dabei:
Rausrausraus!
Kurzerhand griff sie an die beiden Stangen links und rechts des Mittelgangs, zog sich hoch und kletterte über den Gepäckhaufen. Dass sie dabei eine der Taschen herunterstieß und irgendetwas darin verdächtig nach zerbrechenden Bierkrügen tönte, ignorierte sie genauso wie die Tatsache, dass sie an dieser Station gar nicht aussteigen musste.
Gerade noch schaffte sie es nach draußen, als sich die Türen auch schon hinter ihr schlossen.
Mara sah dem Zug hinterher, wie er im Tunnel verschwand. Sie war verwirrt und zitterte am ganzen Körper. Hatte sie gerade das Richtige getan? Der dicke Mann hatte schließlich klar und deutlich ›Hilf!‹ gesagt! Aber diese schwarzen Augen waren nicht die seinen gewesen, sondern ganz eindeutig die von Loki!
Mara musste sofort den Professor anrufen! Mit zitternden Fingern fischte sie ihr Handy aus der Jackentasche. Doch hier unten auf dem Bahnsteig hatte sie keinen Empfang. Mara eilte zur nächsten Rolltreppe.
Kaum war sie oben am Sendlinger-Tor-Platz angekommen, schlug die Empfangsanzeige auf dem Display aus. Hektisch suchte sie die Nummer aus ihrem Adressbuch und drückte zitternd auf das grüne Hörersymbol.
Nervös blickte sie sich um. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Verbindung hergestellt war. Mara war direkt an der Rolltreppe stehen geblieben und sah auf das alte Stadttor, das dem Platz seinenNamen gab. Schon gestern war sie hier gelandet, als sie aus Versehen schwarzgefahren war. Hoffentlich genügte ihr Guthaben auf der Prepaid-Karte noch für dieses Gespräch.
Mara war keine besonders eifrige Handy-Nutzerin. Mit wem hätte sie auch telefonieren sollen? Die Leute aus ihrer Klasse nahmen sie eigentlich nur wahr, wenn Larissa auf sie zeigte. Mara hätte genauso gut ein Schild um den Hals tragen können mit der Aufschrift:
Vorsicht, radioaktiv!
Mist! Warum dauerte der Rufaufbau denn so lange? Oder rasten ihre Gedanken nur so schnell? Larissa … Wie es der jetzt wohl ging? Ob ihr Vater mit ihr zu einem Arzt gefahren war? Mara erschrak, als ihr auffiel, dass Larissa vielleicht irgendwem von ihrer kurzen Unterhaltung im Krankenzimmer erzählt haben könnte! Warum hatte sie nur zugegeben, dass sie die Spinne auch gesehen hatte? Wie hatte sie nur so dumm sein können? Aber Larissa hatte ihr so leidgetan …
»Weissinger?«, brummte es an ihrem Ohr und Mara war im ersten Moment fast erschrocken.
»Hallo, ich bin’s, Mara! Entschuldigen Sie, dass ich jetzt schon anrufe, aber mir ist gerade etwas Gruseliges passiert! Ein Mann in der U-Bahn hat mich angesehen mit …«
Mara verstummte, denn plötzlich war vor ihr eine Frau aufgetaucht. Sie trug einen eleganten, rötlich braunen Mantel, eine ziemlich extravagante Kopfbedeckung, die wie eine Mischung aus Hut und Mütze aussah, und zwei Einkaufstüten. Außerdem starrte sie Mara aus tiefschwarz glänzenden Augen an.
»Hilf.«
Mara ließ vor Schreck ihr Handy fallen.
Im Gegensatz zu dem Mann in der U-Bahn wendete die Frau aber ihren Blick nicht ab, sondern starrte Mara weiter mit diesem seltsamverlorenen Ausdruck an, ließ ihre Einkaufstüten fallen und machte einen zittrigen Schritt nach vorn.
Mara
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