Márai, Sándor
Busen einer richtigen Frau, wohlgeformt, von edlem Material, ansprechend, hie und da makellos. Nur war eben alles, was sie zu bieten hatte, ohne richtige Würze. Ihr Kuss war der eines Diätetikers, schmeckte nach Schonkost, wie Diätwurst. Auch in ihren leidenschaftlichsten Momenten sprach sie mit dieser Art diätsanften Worten; selbst eindeutige Verheißungen klangen von ihren Lippen so, als würde sie sagen: »Kommen Sie, jetzt sieht uns niemand, machen wir schnell einen Gesundheitsbummel durch den Park.«
MIKROPHON
Ich hüstelte, räusperte mich – allein in der gepolsterten Rundfunkkabine – und begann zu sprechen. Auf dem Tischchen vor mir leuchtete eine kleine rote Glaskugel, die anzeigte, dass meine Stimme, auf den großen Sender geschaltet, sich jetzt irgendwo im Weltall, zwischen Australien und der Sándor-Gasse in Pest, auf einer bestimmten Wellenlänge verbreitete.
Manchmal überschlug sich meine Stimme, oder sie blieb mir ganz weg. Erschrocken dachte ich beim Lesen: »Kann ein Mensch sich jemals an so etwas gewöhnen? Durch die Südsee dampft in diesem Augenblick, Sonntagabend, ein Schiff voll mit ungarischen Auswanderern, einer von ihnen dreht gelangweilt das Radio an und hört mir zu. In Grönland spielt jemand an seinem Empfänger, und plötzlich ertönt über einem Eisberg meine Stimme. Ich bin so mächtig in diesem Augenblick, wie es niemals ein Mensch vor mir war, nicht Attila und auch nicht Richard Löwenherz. Mir gehört die Welt. Was soll ich ihr sagen? Große Päpste, große Könige des Mittelalters haben davon geträumt, einmal so zur ganzen Welt zu sprechen, so unmittelbar, mit dem Weltall gewissermaßen auf Du. Kann man sich an eine solche Macht gewöhnen? Nie war der Mensch so schrankenlos allmächtig.«
Ich las weiter. Sprach mit der Welt und konnte ihr nichts von all dem sagen, was mein Herz bewegte. Auch die Konversation mit der Unendlichkeit hat ihre Anstandsregeln.
»Nie war der Mensch so ohnmächtig«, dachte ich vor dem Mikrofon und schluckte kräftig.
Vielleicht haben sie auf Grönland dieses Schlucken gehört und es verstanden.
AUGEN
Oh, dieses Licht, das plötzlich aufblitzt, irgendwo auf der Straße, im Theatergedränge oder in der Straßenbahn – dieses Leuchten, das Strahlen der Augen, dieses menschliche Licht, das eindringlicher und schärfer ist als ein Radiumstrahl und das Gewebe versengt, die Epidermis der Seele durchdringt, heilt und zerstört. Was für ein Licht! Schau mir in die Augen!
EIN DEUTSCHER
Thomas Mann ist auf eine Weise Deutscher, als wäre er es in Afrika: trotzig und treu, gleichzeitig auch ein wenig einstudiert, demonstrativ, beleidigt und hochmütig deutsch. Er hat etwas von Mozart – seine Musik – und von Goethe – seine Rolle –, natürlich auch sehr viel von Thomas Mann, der in Lübeck als Patrizier geboren wurde und jetzt Thomas Mann in Küsnacht bei Zürich ist. Er ringt mit dem, was deutsch an ihm ist, auf Leben und Tod; will das Deutsche in sich zugleich ein wenig am Leben erhalten und ein wenig zu Tode verletzen. Das halbe Glas Champagner, das Bismarck für jeden Deutschen forderte, hat er bereits mit der Muttermilch getrunken, und er spricht jetzt mit diesem feinen, für ein Leben reichenden Rausch von der Welt. Möglich, dass er nicht ganz der ideale Deutsche ist, aber sicher der ehrlichste. Und dazu ist er neben Undset und Dreiser einer der größten lebenden Schriftsteller. Welch ein Konflikt! Ich verneige mich tief vor ihm, und manchmal tut er mir leid, der Arme.
DIE SCHÖNHEIT
Den Augenblick beschreiben und festhalten, da die Schönheit, dieses aus Stofflichem und aus der Seele gebrannte, zerbrechliche und glasurfeine Etwas im Antlitz einer Frau in Scherben fällt, weil dieses Gefüge aus Gefühl und Charakter zerbrochen ist, von dem die äußere Schönheit nur die Folge war. »Seltsam, sie ist hässlich geworden!« – sagen die Leute und zucken die Achseln. Ja, sie ist hässlich geworden, weil sie von innen her verdorben ist. Schönsein bedeutet nichts anderes als unschuldig sein, im heldenhaften Sinn des Wortes. Alles andere ist nur Kosmetik.
ZYLINDER
Laut Befund der Harnuntersuchung war das »durch Zentrifugieren gewonnene Harnsediment minimal, weiß, Zylinder nicht nachweisbar«.
Im Laboratorium eröffnete man mir in beruhigendem Ton:
»Der Harn des gnädigen Herrn ist völlig normal.«
Ich bedankte mich für den Befund, auch im Namen des gnädigen Herrn.
»Girardihut* ebenfalls keiner?«, fragte ich beim
Weitere Kostenlose Bücher