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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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besitze. Ich stehe auf, esse und trinke, wie andere, schlafe auch; aber meine Träume sind schwer. Schmerzen empfinde ich nicht, ausgenommen gelegentlich in der Brust, doch die habe ich schon lange, sie sind so sehr Gewohnheit geworden, dass ich sie ignorieren kann. Ich wehre mich auch nicht dagegen, ein Hypochonder zu sein, doch wenn, dann ist das Übel bei weitem nicht so harmlos wie behauptet wird …« – hinter den mit »Jankó« signierten Briefen wie den mit »Vize-Notar von Szalonta« unterzeichneten spürt man den von seinen Nerven geplagten Dichter, der alles in seine Werke legt, bis zur Selbstaufgabe, auch seine Gesundheit. Sein Werk bezeugt es, er war ein großer Künstler, der größte und reinste. Die Briefe belegen, dass niemand ungestraft ein Künstler sein kann. Auch Arany hat für seine Dichtung alles hingegeben. Die Gesundheit. Das Glück, das Leben.
    MUT
    Ein Held nur kann in die Welt hinausschweigen, was in ihm Protest und Gerechtigkeit ist.
    DER LESER
    Auf der Bank an der Promenade saß eine junge Frau und las; der Wind ließ ihr blassgraues Halstuch flattern. Ich ging an ihr vorbei, betrachtete ihren freundlichen, edlen jungen Kopf, den feinen Hals, die hübschen Beine. Da bemerkte ich, dass mir der Einband des Buches, das sie mit einer Hand hielt und in dem sie aufmerksam las, bekannt vorkam. Ich stellte fest, es war ein Buch von mir.
    Eine solche Entdeckung versetzt jeden Autor in Aufregung und freut ihn. Der Mensch schreibt, doch insgeheim wagt er kaum zu glauben, dass sein Buch zugleich eine Ware, ein handfestes Erlebnis ist, etwas, das man in einer Schublade ablegen kann, und dass es eines Tages eine junge Frau als Lektüre mit auf die Promenade nimmt und liest. Das Verhältnis des Schriftstellers und seines Werkes zur Welt ist nicht so unbefangen. Er schreibt, weil er gar nicht anders kann, wünscht sich den Erfolg, denn er wäre ja ein Ungeheuer, wenn er ihn verschmähte, irgendwie ist er nämlich auch Handwerker und Kaufmann, andernfalls wäre er ein Tölpel und würde niedergetrampelt – aber trotz alledem glaubt er nicht an die »Ware«, die er produziert, und wenn er dem Konsumenten begegnet, erschrickt er und weicht zurück. Deshalb ging ich eiligen Schrittes davon und wandte mich nicht mehr um.
    TRAUER
    Als der große Politiker und große Freund Z. starb, ging ich hin, um mich von ihm zu verabschieden. Er lag in seinem Arbeitszimmer auf einem Diwan vor dem Schreibtisch zwischen den Bücherschränken und den mit Schriften und Zeitungen vollgepackten Regalen. Ich blieb vor dem Toten stehen und verneigte mich. So verharrte ich eine Weile. Aber dann überkam mich ein Gefühl, ja ein unwiderstehlicher Zwang, und ich fing an, in den Regalen nach meinen Büchern zu fahnden. Zuerst blickte ich mich nur verschämt um, später suchte ich unverschämt und hektisch. Alles in allem fand ich zwischen zwei rechtswissenschaftlichen Werken einen verstaubten Band von mir, einen Roman. Das Herz krampfte sich mir zusammen, und ich verspürte eine unbeschreibliche Trauer.
    DER MUSIKER
    Der Musiker ist gestorben, der große Musiker. Was festzuhalten war von seinem Werk, verwahrt das Notenheft, die Wachsplatte. Doch diese andere Musik, die er nicht aufgeschrieben hat, die nur seine Geige kannte – und jene, die diese Geige gehört haben –, ist für immer verstummt. Dieses Schweigen ist tragisch.
    Etwas geht in uns verloren, in uns allen, auch in den Kleinen, den Namenlosen; etwas, das sich nicht in Schrift, im Bild oder im Notenheft festhalten lässt. In jedem von uns ist ein Quäntchen Musik, das er, das seine Musik ist. Der große Schriftsteller hinterlässt seine Bücher, der große bildende Künstler seine Gemälde oder Skulpturen, vom großen Musiker bleibt uns die Melodie, der »Satz«, den er auf ein Stück Papier notiert und verewigt hat. Doch Kunst ist noch etwas anderes. Mit jedem Künstler geht irgendetwas dahin, von dem sein Werk nur die Folge war; und dieser vergängliche Inhalt ist die verlorene Kunst. Was war diese andere, diese wahre Kunst? Ein Grundgefühl, dessen Ausklang das Werk nur ist.
    Und was bleibt vom Mimen, vom Vortragskünstler? Ein paar Fotos, ein Gesicht, die Erinnerung an eine Geste. Die Materie und die Seele, die diese künstlerische Erscheinung ausmachten, haben ihre Kratzspuren auf den Spiegeln von ein paar Kennern hinterlassen; in diesen Seelen lebt der Vortragskünstler – für kurze Zeit – weiter. Was wissen wir noch von der Kunst eines Talma*? Sie hat sich

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