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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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Kenntnis nimmt. Dank des schulfreien Tages habe ich meine persönliche Existenz, das Leben überhaupt, lange als Feiertag empfunden. Im April werde ich stets hellhörig und wittere. Ich spüre, dass etwas beginnt.
    Er ist veilchenfarben, opalisierend mit Tulpenvariationen. Die Erde füllt sich mit den in diesen Wochen schwellenden Zwiebeln und Knollen. Um die Thermalquellen versammeln sich frühmorgens verzweifelte Magenkranke mit Gläsern und Bechern in Händen, blicken verdrossen in den Frühling. Da sprudeln die Wässer ihre prickelnde Leidenschaft hervor und ergießen sich voll frischer, magischer Kräfte über die Steine in die Tiefe.
    Frauen mögen den April nicht. Er ist der Monat der kurzen Jacken, der Pickel, der Schwindelgefühle des Frühlings, der Monat grundloser Aufregungen. Die Reichen reisen um diese Zeit nach Taormina. Die Armen schauen zum Himmel auf, wittern, betrachten die Sterne und sagen leise: »Er glänzt heller.«
    Auch ich schaue in den Aprilhimmel und suche meinen Stern. Irgendwie glimmt er noch. Greife nach einer Hand und sage mit tonloser Stimme: »Er ist blasser geworden.«

GELÜBDE
    Ja, ja, ja, bis in den Tod, noch auf dem Scheiterhaufen oder in grausamer Verbannung, die jedem gläubigen und bewusst lebenden Menschen in dieser Welt der Dummheit, Bosheit und Intoleranz zum Schicksal wird, gelobe ich, dass ich bis zur letzten Silbe, bis zu meinem letzten Atemzug, was auf dasselbe hinausläuft, der Vernunft, der Wahrhaftigkeit, dem Mut zu denken treu bleiben will, ich verachte Lauheit und nachplappernde Automatisierung der Seele, die den Geist und die Kunst zur Unterhaltung herabgewürdigt haben, halte die Begeisterung, die das römische Zirkuspublikum mitriss, als es blutdürstig auf die kämpfenden Gladiatoren starrte, für ehrlicher und menschlicher als das schmatzende Entzücken der »dicht besetzten Reihen« eines modernen Kinos, und ich will einem Shakespeare, einem Goethe, Cervantes, Tolstoi die Treue halten, einem János Arany*, einem Rilke, Petofi*, Theodore Dreiser, O’Neill, Martial, Augustinus, jetzt und in Ewigkeit. Amen.
    STIMMUNG
    Dieses Geldinstitut hat an der Ecke eine Zweigstelle eröffnet, eine Filiale mit Stahlrohrmöbeln, großen Glasfenstern, mit billiger, moderner Meublage, die minderwertig ist, und mit billigem, modernem Geld von vermutlich ebenfalls minderem Wert.
    Nachts komme ich an ihren Spiegelglasfenstern vorbei. Die Rollläden sind nicht herabgelassen, vor einem Panzerschrank, den südländische Pflanzen säumen, leuchten Lampen mit mattem Licht. All das wirkt höchst feierlich. Palmen, gedämpftes Stimmungslicht und Bargeld vereint: ein freundliches, verführerisches Ensemble. Es gibt also auch einen stimmungsvollen Kapitalismus.
    Ungefähr so, als wenn ein Löwe sich Rosen hinters Ohr klemmen würde.
    DIE BÄUME
    Die Bäume sind noch kahl. Nur die Knospen glänzen an den Enden der Zweige wie lauter Lanzenspitzen, mit denen sie sich zum Kampf rüsten.
    Das Wintergras auf der Generalswiese hat schon wieder seine harte, frische Farbe zurückgewonnen, dem Siechen gleich, der beim ersten Sonnenstrahl vor Zorn und Trotz genesen ist.
    Menschen in Frühjahrsmänteln telefonieren in den Fernsprechzellen an der Straße, öffentlich und lang. Lächelnd und eindringlich gestikulieren sie im Straßenlärm. Ihr Gesichtsausdruck ist unmissverständlich. Sie sprechen ins öffentliche Fernsprechnetz von der Liebe; der Liebe, diesem mit Konditorei und Kino gemischten Urnebel und Sternschnuppenfall.
    Das Wasser ist trüb, als hätte der Frühling auch in den Leitungsrohren etwas in Bewegung gebracht.
    Nachts ist manchmal schon das Pfeifen der Züge vom Südbahnhof her zu hören. Die Bäume mit ihren spitzen Lanzen spähen kampflustig in die Nacht, wittern die Zeichen. Der Frühling ist eine zornige Jahreszeit.
    Vor meinem Fenster steht eine alte Kastanie. Sie knarrt und ächzt die ganze Nacht. Wiederholt, wie ein Schwachsinniger, bis in den Tod: »Jetzt erst recht, jetzt erst recht.«
    SCHONKOST
    Auf den ersten Blick, aber auch danach, während der Unterhaltung, beim koketten Schäkern war sie wie eine richtige Frau. Doch später, als sie all das, was sie geäußert hat, quasi körperlich hätte beglaubigen sollen, musste jeder merken, dass sie keine richtige Frau, sondern nur eine Art Schonkost-Weibchen war. Diese Überraschung hat so manchen abgeschreckt.
    Sie besaß einen diätetischen Mund, einen diätetischen Busen und so weiter. Eigentlich nicht anders als Mund und

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