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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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von Geldwechslern und Detektiven; inzwischen, also zwischen zwei Zügen, wissend, dass, während du dich mit dem Umsteigen abmühst, jenseits des Ausgangs Rom beginnt, und es wartet seit Jahrtausenden auf dich, und dass gerade jetzt im Zimmer eines weißen römischen Mietshauses mit Dampfheizung eine schwarzäugige Römerin erwacht, die vielleicht mit Lukrezia verwandt ist, und dass der Papst gerade hüstelt und im kalten Licht der Stehlampe, den Kneifer auf der Nase, den Osservatore zu lesen beginnt, all das ist ganz nah und unerreichbar fern, denn schon ertönt ein Pfiff, und der Zug setzt sich in Bewegung, der dich zurückbringt in dein Leben, ins gnadenlose einmalige Leben, das genauso ewig und genauso vergänglich ist, genauso prallvoll und unverständlich wie Rom.
    OSTERN
    Die Tage vor Ostern wirkten in meiner Kindheit immer tragisch auf mich. Mit einem Mal veränderten sich Farbe und Geschmack der Luft: Plötzlich war sie von Blässe, edlem, traurigem Blumenduft und Kerzenlicht erfüllt. Auf dem Platz der Dominikaner zogen Prozessionen mit Fahnen vorüber, auf die das Kind und das Lamm gestickt waren, und slowakische Frauen sangen mit schmerzerfüllten Stimmen, als sei unermessliche Trauer über die Welt hereingebrochen. An diesen Tagen hatte ich Angst und traute mich nicht auf die Straße. Das Mysterium sind nicht nur die Zeremonien. »Weinet, ihr Christen« –, sang man in der Kirche; und dann musste ich auch immer gleich weinen. Als ginge mich Ostern persönlich an, als würde ich, über den Glockenklang, über den Gesang, mit etwas Schicksalhaftem und Persönlichem direkt angesprochen. Der Mensch trägt irgendetwas Göttliches in sich, das nie erlischt, und etwas Menschliches, das unsäglich leiden kann. Das habe ich empfunden. Deshalb fürchtete ich mich.
    FEST
    Wahnsinnstage, wenn die Fanfaren des Frühlings angestimmt werden und wie auf einer Zeichnung von Walt Disney plötzlich Eichen, Eichenbockkäfer und Generaldirektoren Purzelbäume schlagen, alles zu klingeln und zu lärmen beginnt, sogar tote Dinge; alles und jeder rennt atemlos auf ein Ziel zu, das es meist gar nicht gibt. Beim Signal dieser unsichtbaren Fanfaren hasten wir einer Erinnerung hinterher. Welcher Erinnerung? An ein Fest, bei dem Löwe und Krokodil den Stammeltern Adam und Eva noch friedlich zu Füßen lagen, der Büffel inmitten der Lichtung zufrieden im Schatten der Riesenfarne grunzte und mit dem Schwanz wedelte.
    UNTER BEOBACHTUNG
    Ist dir noch nicht aufgefallen, dass die Tiere uns beobachten? Das Reh, der Luchs, das Rhinozeros, der Ameisenbär, sie gehen ruhig ihren Pflichten nach, doch sind sie stets auf der Lauer, beobachten mit einem Auge immer auch den Menschen, den verdächtigen und gefährlichen Fremden auf dieser Welt. Du kannst es mir glauben, wir stehen unter Beobachtung.
    ABSCHIED
    Die Zeit läuft, das Leben füllt sich in diesen Wochen mit konzentrierten Inhalten. Die Menschen haben einen anderen Blick, wittern etwas, schauen mit leuchtenden Augen zum Himmel, dann verdüsterten Blicks auf den Boden. Sie schauen einander, die Bäume, die Zahnpastareklame, die Frauen an, die etwas spüren und in diesen Tagen so anders lächeln. Was ist das für ein Gefühl, dieses konzentrierte, dichte, dieses schmerzliche und unheimliche Herumsuchen und diese Verwunderung? Was liegt in der Luft, in den Augen der Menschen, im Lächeln der Frauen? Der Abschied.

MAI
    Der Monat Mai hat eine Melodie, die Liederkomponisten in aller Welt vergeblich auf Notenpapier zu bannen versuchen. Was haben sie zu dem Zweck nicht schon alles angestellt: Doch mehr als sentimentales Geleier mit Anspielungen aufs Maiglöckchen und die mehr oder weniger unerwidert gebliebene Liebe ist nie dabei herausgekommen. Die wahre Maimelodie kommt aus tieferen Schichten und ist keineswegs rührselig. Sie hat etwas von einem Erdbeben, aber auch von der Ahnung des Todes. Ein beängstigender Monat. Erfahrene Alte mögen ihn nicht, gehen ganz vorsichtig mit ihm um, mit seinem Geschmack, dem Licht und seinen Düften, sie verbergen sich vor ihm oder verreisen.
    Auf magische Weise deckt sich ringsum der Tisch üppig mit Kräutern und mit allerlei zweibeinigem, geflügeltem Getier. Doch die Herzen der Menschen sind schwer und unruhig. Das Fest des Wonnemonats ist heidnisch und laut. Alles lärmt, will etwas offenbaren. Schon früh ist die Luft von sprudelnden, herben Düften geschwängert, erfüllt von barbarischem Licht, vom unbarmherzig blendenden Strahlen eines antiken

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