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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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liest nur englische Romane und spaziert höchst selten bei Mondschein auf Hausdächern oder geht die Dachtraufen entlang, sie zieht es vor, bei Sonnenschein auf dem Korso zu flanieren, mittags um zwölf in Gesellschaft von unheimlich gebildeten, literarisch informierten Bankangestellten.
    Mit unbarmherzigem, quälendem Heimweh sehne ich mich nach der Realität. Möchte erleben, wie ein Bürstenbinder säuft. Würde gern ein mondsüchtiges Mädchen im langen weißen Kleid betrachten, wie es bei Mondschein auf dem Dach der Basilika spaziert. Oder auch einen General mit Löwenherz sehen, möglichst auf dem Seziertisch – anders ja kaum möglich –, wenn der Anatom seinen Brustkorb öffnet und staunend demonstriert: »Na bitte, er hatte ein Löwenherz.«
    GESTÄNDNIS
    Gegen Morgen, als er sie nach durchredeter Nacht heimbrachte und vor dem Tor der fremden Wohnung höflich aus dem Auto sprang, um der Dame aus dem Fond zu helfen, glitt er auf dem nassen Pflaster aus, schlug der Länge nach hin und brach sich auch noch den Arm. Im barbarischen Schock des ersten Schmerzes blieb er für Augenblicke reglos zu Füßen der Dame auf dem Bauch liegen.
    »Oh«, schoss es der Dame durch den Kopf, »er übertreibt. Liebt er mich wirklich so sehr?«
    DAS GERÄUSCH
    Auf der Straße, im Bach, im Nähsalon, in den menschlichen Nieren und in der Leber, in Schlangennestern, überall ist mit Geräusch und Getöse etwas im Werden. Das Eichkätzchen setzt mit einem Todessprung von einem Tannenwipfel zum anderen über, hält am Ende eines nadelspitzen Zweigleins inne und sagt, den Zeigefinger an die Nase gelegt, wichtigtuerisch: »April.«
    SIZILIEN
    Als das Schiff vor Taormina Anker warf, zog sich eine Frau den Badeanzug an, sprang von Deck und begann im lichtblauen Wasser dem Ufer entgegenzuschwimmen. Sie schwamm im hellen Licht des Vormittags langsam in dem blauen Meer auf die dampfenden, gelblichen Klippen zu; nachdenklich schwamm sie, als sei sie zurückgekehrt in eine besondere Heimat, die zugleich Wasser, Licht und ein Begriff ist. Sie schwamm wie eine Märchenfee. Ich sah ihr über die Rehling gebeugt nach, ihrem weißen Körper, den das mächtige Element wie einen vertrauten Leib, einen Fisch oder die antike Göttin des Meeres sanft auf seine Arme nahm. Sizilien ist die Heimat der Magie und Zauberei, dachte ich, vielleicht gibt es sie hier noch, gewissermaßen in der Verbannung, die kleinen, heiteren menschengleichen Götter.
    UNTERWEGS IM APRIL
    Diese Route war schon bei den ersten Reisevorbereitungen erfüllt von unfassbar tiefer Trauer. Ich fuhr durch kleine Städte, eher Dörfer als Städte, aus jeder Toreinfahrt, jedem Fenster winkten mir Schicksale entgegen, Schicksale, die auch kein Gott lindern kann, Wohnungen, Professionen und Hoffnungslosigkeit menschlicher Verbindungen, eine Blume im Fenster, als wollte jemand der tauben, gleichgültigen Menschheit heimliche Zeichen geben, Lichtzeichen hinter einem Tor, als lebten hier überall Robinsons, Schmutz und abgetragene Wäsche zum Trocknen auf der Leine, Herbergen, in denen jeder von Mord oder den Steuereintreibern träumt, die geduldigen und traurigen Augen von Frauen, mit denen sie dem Wagen nachsehen – als hätte man die Welt tatsächlich irgendwo mit Brettern vernagelt, als umgäbe ein Drahtgitter das alles, als würden die Wege schließlich irgendwo gekappt und verbarrikadiert: Das habe ich unterwegs empfunden. Vor einem Bahndamm hielt ich an und setzte mich neben die Schienen, zündete mir eine Zigarette an und lauschte dem feuchten Aprilwind; erschrocken empfand ich, dass ich keine richtige Lust mehr an der Welt hatte.
    PALMSONNTAG
    Dieser schwüle, laue, feuchtwarme Geruch allenthalben, wie in einer Backstube, wenn der Brotteig schon aufgegangen ist und die Bäckergesellen auf ihren langstieligen Backschaufeln die weiche Teigmasse in den Ofen gleiten lassen. Und ein wenig auch ein Duft, als habe man die Welt mit Honig bestrichen, mit einem klebrigen Stoff, als wäre irgendwo eine Flasche Vanillelikör ausgeflossen. Er würgt einen und erzeugt Übelkeit. Man möchte im Frühling immerfort lüften.
    ROM
    Immer diese zehn Minuten vor Frühlingsbeginn auf dem fremden Bahnhof, zwischen zwei Zügen, zwischen den Zeitungsverkäufern, den Chiantiflaschen und in Körbe verpacktem Reiseproviant, zu den Erste-Klasse-Abteilen schlendernden fremden Damen und die Garnitur kontrollierenden, ölverschmierten Arbeitern, den herumstehenden, herausgeputzten Stationsvorstehern inmitten

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