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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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haben etwas bürgerlich Dekadentes. Die Trauben. Zart und malerisch. Aber in einem Jahr ist es vielleicht das Motiv für einen Mord und kann zum Entlastungsgrund werden.
    Die alten Weiber, die jetzt ihren Sommer haben, sind in diesem Jahr ganz jung. Tragen kleine, hochgezogene Hüte, reden aufgeregt und laut. Es gärt die Liebe in der Luft. Bäume schmutzen ins Wasser des Schwimmbads. Die Inspektion ist beendet; Unordnung setzt ein, das wilde, verbleichende Abenteuer, der Tod.
    AUFGABE
    Ich hatte das junge Genie trunken gemacht und sagte zu ihm:
    »Deine Sache ist vielleicht gar nicht das Schöpferische. Voraussetzung dafür, dass jemand schöpferischen Impetus hat, ist irgendeine göttliche Fügung.«
    »Es reicht ja schon, wenn du widerstehst. Die Welt ist nun einmal, wie sie ist; doch gib du deinen Segen nicht dazu. Dieser Widerstand kann fruchtbar und edel sein. Auf jeden Fall ist er eine Voraussetzung dafür, dass du Spuren hinterlässt in der Welt. Bücher schreiben kann schon jeder fleißige Trottel, aber nur wenige vermögen zu widerstehen.«
    »Haltet zusammen, ihr Widerständler; meinetwegen auch gegeneinander.«
    EINE BEGEGNUNG
    Man hat notiert, dass der junge Pascal, als er Herrn Descartes vorgestellt wurde, bei diesem »begeisterte Aufnahme« fand.
    »Oh, das gibt es also auch!«, könnte Descartes gedacht haben, glücklich und entzückt.
    »Oh, das gibt es also auch!«, könnte er später gedacht haben, missvergnügt und eifersüchtig.
    JOYCE
    Er schrieb, als verfasse er ständig posthume Bücher, die Bücher eines Verstorbenen, der sich um die Gesichtspunkte der Lebenden nicht mehr kümmert und auch alles Schauderhafte und Beängstigende ausspricht, nicht mehr »pour épater les bourgeois«, sondern jenseits jeder Vereinbarung, mit der Willkür und Rücksichtslosigkeit des Todes, »pour épater les vivants«.
    DIE WEINTRAUBE
    Triefend süß und langweilig. Vom Rausch, von der Glückseligkeit, die man aus ihr keltert, weiß sie nicht mehr als das Streichholz von der Feuersbrunst, die mit ihm entfacht werden kann.
    GLAS
    Der Tag Ende September ist so durchscheinend und zerbrechlich, als wäre er aus Glas. Die Blätter, die Früchte geben, wenn sie zu Boden fallen, einen klirrenden Ton, als ob sie zerbrochen wären.

OKTOBER
    Ich erinnere mich an einen Oktober, da ich im deutschen Wald lebte, in einem Hotel zwischen Eichen und Generaldirektoren, in dem alles mit elektrischer Kraft betrieben wurde, wo als Jäger verkleidete Kellner den Gästen die Wünsche von den Augen ablasen und jeden Nachmittag Rübezahl in Gestalt des altmodischen Hausherrn aus dem Wald trat, auf der besonnten Lichtung dem Hoteleingang gegenüber stehen blieb und mit besorgter Miene zwischen dem Zierrasen und den Wolken eine Inspektion vornahm, worauf er mürrisch und eher komisch in Richtung Hirschfütterung verschwand.
    Dieser Oktober unterschied sich von allen anderen Oktobern. Ich war jung und anspruchsvoll. Im Hotel wurde schon geheizt. Am Abend saß ich in Smoking und Eskarpins vor dem Kamin im Gesellschaftsraum mit einem Buch in der Hand und fühlte mich wie Lord Byron, bevor er für Griechenlands Freiheit sterben ging. Damals wäre auch ich bereit gewesen, aufzubrechen und zu sterben, eventuell aufgrund eines simplen Briefes, der zum Kampf für eine fremde Sache, eine unverständliche Freiheit aufrief. Ich ahnte, dass alles irgendwie zusammengehört. Jeden Morgen trat ich mit dem Gefühl ans Fenster des Hotelzimmers, dass mir die Welt eine Rolle zugedacht habe und ich diese meine Aufgabe ohne Aufhebens, diskret, aber mit rücksichtsloser Konsequenz zu erledigen hätte. Ich vermutete, dass ich mich beeilen müsse, da ich nicht lange leben würde, stellte mir diesen ungewissen Zeitpunkt aber jenseits der hundert vor. Ich lebte inmitten von Baumriesen und unwahrscheinlich mächtigen Bergen, in glänzendem und ungebührlichem Luxus, der nicht zu meiner gesellschaftlichen Situation passte, meinen materiellen Verhältnissen nicht angemessen war, jedoch den Ansprüchen, die ich ans Leben stellte, vollkommen entsprach. Zu alledem war es Oktober, wenig Nebel, wenig Sonnenschein, dieses milde, etwas theatralische Halbdunkel, das junge Menschen unweigerlich zum Komödienspielen veranlasst. Bis der Mensch sich altersmäßig den Jahreszeiten anpasst, ihre Beleuchtung, Möglichkeiten, Schönheiten und Gefahren studiert hat, empfindet er die Welt nicht mehr als Kulisse. Ihn interessiert die Wirklichkeit, die so anders, so überraschend und

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