Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
Vom Netzwerk:
Manier eines Knausrigen, der mit zitternder Hand die verbliebenen Schätze eines vergeudeten Vermögens prüft. Dann: »Meine Augen, die sind auch noch in ganz guter Verfassung. Gerade nur das Laufen, mein Kind.« Stille. Darauf mannhaft und nüchtern: »Beim Laufen, da habe ich mich leider vor der Zeit verausgabt.«
    MATURATREFFEN
    Zwanzigjähriges Maturatreffen. Sie wissen alles über mich, doch während des Abendessens tun sie so, als ob sie zwanzig Jahre hindurch kein einziges Mal von mir gehört hätten. Halten sich an die Rangordnung. Es ist nicht zu übersehen, dass sich vor sehr langer Zeit, vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren, unter uns eine Art Urhierarchie herausgebildet hat, die aufzulösen wir später nicht das Recht, aber auch nicht die Möglichkeit haben. Peter, der es im Leben nicht sehr weit gebracht hat, ist am Tisch auch beim Wiedersehen noch immer Klassenerster, der das große Wort führt, und Josef, der schon reich und ein »Hochwohlgeborener« geworden ist, folgt ihm untertänig mit offenem Mund. Es gibt eine solche rätselhafte Rangordnung, die sich im Kindesalter herausbildet und die man auch später nicht überspringen kann. Die Welt zu überzeugen, ist viel leichter als den Klassenkameraden, der etwas über dich weiß. Was? … Er weiß es nicht genau. Blickt nur voll Argwohn auf dich, blinzelnd und mit ewigem – vielleicht auch berechtigtem – Zweifel.
    BRUEGHEL
    Diese Bauern stinken vor lauter Wirklichkeit und Lebensfreude, sind vom Mittelalter verlaust, hart, streitsüchtig und allen Anzeichen nach gut gelaunt, selbst dann, wenn sie – im Hintergrund – gerädert werden. Samt und sonders dürften sie doch nicht ganz so sein, wie die wirklichen Bauern gewesen sind in jener politisch turbulenten Zeit; Brueghel hebt sie aus ihrer Klasse heraus, der sie angehört haben, gibt ihnen mit Liebe und unendlichem Mitgefühl eine neue Heimat und ein neues Schicksal. Wo liegt diese Heimat? Er allein wusste es, Brueghel, der Ältere.
    EXPORT
    Ich kaufte in der Gärtnerei auf der Insel* eine Rose, eine der letzten, die sich noch im Rosengarten gefunden hatten. Die Blumenverkäuferin packte mir die Rose ein, dann kritzelte sie etwas aufs Papier und übergab mir den Zettel.
    »Was ist das?«, fragte ich.
    »Eine Bestätigung«, sagte sie, »dass der Herr die Rose von der Insel mitnehmen darf.«
    Ich habe mich für die Bestätigung und die Rose bedankt, zahlte und ging beschwingt davon. Unterwegs empfand ich zufrieden, dass sich unser Export gut entwickelt und dass es auch um meine Angelegenheiten nicht ganz schlecht stehen kann, denn gelegentlich kommt es jetzt schon vor, dass ich mit Exportgenehmigungen arbeite.
    ÜBUNG
    Das Schreiben, also sich mittels Sprache auszudrücken, hat jenseits eines bestimmten Alters genauso wie das Denken und das Leben wenig Sinn, wenn wir diese einfache und gefährliche Wahrheit, die wir im Leben kennengelernt haben, nicht in Worten und mit unseren Taten ausdrücken können.
    Aber diese Wahrheit stopft man uns in den Rachen zurück. Heute schlimmer als je zuvor. Deshalb interessiert mich das Echo auf meine Arbeiten nicht besonders. Der Schriftsteller schreibt heute, weil er nicht anders kann, weil das Schicksal es ihm auferlegt hat. Ich fordere keinen Dispens für ihn. Ich verlange nicht einmal, dass man ihn »versteht«, ihn entschuldigt. Es gibt kein Pardon. Legen wir unsere Masken ab, Autor und Leser, schauen wir uns in die Augen, und lachen wir uns gegenseitig laut ins Gesicht! Du bekommst, was du möchtest, ich gebe, wozu du mich nötigst. Wir schulden einander nichts mehr auf der Welt; die aber auch danach ist, diese Welt.
    RAGUSA
    Es wollte etwas sagen, etwas in die Welt hinausschreien, etwas so Großes und auch so laut wie Venedig. Doch der Schrei ist ihm im Halse stecken geblieben. Und so lebt es – schon seit Jahrhunderten – mit dieser Heiserkeit.
    PROVINZ
    Oh, wie ich diese suspekte Spezies des Vertreters hasse, die sich hinter der Scheibe eines Ringstraßen-Kaffeehauses mit der oberflächlichen Wohlinformiertheit aus drei Auslandsblättern und im Bewusstsein, dass Menschen auch Geld verdienen müssen, zudem ein Geschlechtsleben haben, das im Allgemeinen nicht besonders lustig ist, sich »hauptstädtisch« dünkt; und über die Provinz , den provinziellen Stil und die Provinzler abschätzig redet. Und weiß nicht, dass vor dreihundert Jahren, als an der Stelle des RingstraßenKaffeehauses im Moor noch Schilffischer ihrem Beruf nachgingen, Menschen in

Weitere Kostenlose Bücher