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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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diesem Tag berichtet.
    RANG
    Namen bezeichnen zugleich Rang: Einem spanischen Heiligen oder österreichischen Erzherzog schadet es nicht, wenn er Isidor oder Ignaz heißt. Aber du bleibe lieber bei Béla. Es ist sicherer.
    SONNTAG
    Für mich ist der Sonntag ein Herr mit Zylinder, der sein blasses Söhnchen in Matrosenbluse und langer Hose durch die aquarellfarbene Landschaft spazieren führt. Am Pier verweilen sie, bestaunen die Segelschiffe, die Ingwer, Rum, Tee und Zuckerrohr in den Hafen gebracht haben. Kerzengerade steigt der Rauch aus den Schloten in den blassblauen Himmel auf. Es riecht nach Talg und nach Pfeffer. Ein welscher Gaukler dreht die Kurbel des Leierkastens mit einem angeketteten Äffchen obenauf und singt quäkend sein Lied dazu. Auch der Wind macht sich bemerkbar, zerrt an den Segeln, schlägt sie an den hölzernen Mast. In den Kornspeichern mampfen gierig die Ratten. Eine Frau im Seidenkleid, um die vierzig, ein Gebetbuch an die Brust gepresst, steht mit gesenktem Blick mitten in einem weiß verhängten Zimmer und denkt: »Dieser elende Schuft.« In der Konditorei sitzen rotbackige Mädchen und Jungen, nippen an ihren Gläschen mit Kaiserbirnlikör. Draußen beginnt es zu regnen.
    27. SEPTEMBER
    Nachts, während ich schlief, ist etwas geschehen: Der Sommer war zu Ende gegangen. Ich wache auf, lausche dem Wind, betrachte das dunkelbraune Laub vor dem Fenster und empfinde keinerlei »Herbstwehmut«. Freue mich, dass der Sommer vorbei ist. Freue mich, dass er gar nichts gebracht hat. Freue mich, dass ich im Glauben an mein Ungemach nicht schwankend geworden bin. Freue mich, dass ich über die »Lösung« keinerlei Illusionen mehr hege. Bitte sehr, Herbst, mache! – denke ich. Pack deine Requisiten aus, lass die schäbigen Kulissen von deinem lausigen Schnürboden herunter, wirf Laub ab, lass deine Winde stöhnen, verwünsche und begrabe, wie die Dichter, die jetzt mit zitternden, willfährigen Fingern in die Saiten ihrer Laute greifen, für acht Pengő pro Gedicht. Ich heiße dich willkommen, Bote des Winters und des Untergangs. Ich wehre mich nicht. Bin einverstanden. Erwarte dich.
    GLEICHNIS
    Hilflos wie Blumen
    Wie der Bär, stinkend und verwaist
    Weiß wie der Leib meiner Mädchen von einst
    Wie der Teufel, so trist und einsam
    Wie die Hyäne in Jordanien
    Vergänglich wie das Fleisch, die Zellen
    Wie die Sünde, so sonderbar und süß
    So sinnlos wie Träume
    Bitter wie die Galle von Kadavern
    Die frivolen Träume von Jungfrauen
    Wie die Absicht der Reichen gärt
    Wie eine Zahl, so grausam
    Und kalt wie der Eisberg in der Morgue.
    MAHNUNG
    Besteh nicht darauf, ein Held zu sein. Nimm nicht Partei und bleib aufmerksam. Das ist ist schon mehr als genug.
    GESCHWINDIGKEIT
    Diese kleinen Fieber, die den Körper vom Gravitationsgesetz abkoppeln. Wir fliegen und lächeln.
    Nachmittags fuhren wir, im Nebel, am Plattensee ab, und in ganzen zwei Stunden waren wir bei mir daheim. Nie ist der Wagen so schwerelos dahingeglitten. Ich fuhr ohne Probleme; beinahe so, als hätten wir ein wenig abgehoben, nicht hoch, vielleicht zehn Zentimeter vom Boden. Als wir heimkamen, habe ich nachgemessen: 38,6.
    »Bist wohl gerast?«, fragten sie mich anderntags. »Mit 38,6«, hab ich erwidert.
    ZÄRTLICHKEIT
    Seit zwei Tagen fallen die Blätter. Die Bäume langen mit welken Armen herab und streicheln den fröstelnden Boden.
    VERREGNETER NACHMITTAG
    Was ist das Heimelige, Sinnliche, Ahnungsvolle daran? Diese Lichter, die dampfige Wärme, die glitschig nasse Straße mit den nackten Reflexen, hinterm Regenvorhang die Zimmer, die Frauen auf der Straße, eingehüllt in wasserdichte Umhänge und ihre Hüte, dieses Mysteriöse, diese Eile, als wüsste die ganze Stadt mit ihren Millionen Menschen, Alten, Elenden und Aussätzigen von irgendeinem geheimen Stelldichein, als funkelte tief hinter dem Nebel und dem Vorhang aus Regen die Freude – eine Art Wärme, Verspieltheit und Verstecken, irgendetwas Körperliches und Eingeweihtes, das keinen Namen, keine Haus- und Telefonnummer hat und so vertraulich, lieb und zweckfrei ist wie eine flüchtige Liebe! Was ist dieses Ganze? Ein verregneter Nachmittag.
    HERBST
    Wieder ist ein Sommer vergangen, und kein Wunder ist geschehen. Ich bin empört.
    Der Herbst liegt in der Luft; noch zaghaft, wie eine erste Todesangst. Als begänne die Welt erst vorsichtig mit der Einnahme von Cardiosolephedrin.
    Die Luft ist dicht und zähflüssig. Das Obst wie mit Glasur überzogen. Die Pfirsiche. Sie

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