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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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Kaschau schon in Salons saßen und über Literatur plauderten. Als wäre in diesem Land nicht alles, was an intellektueller Potenz und was wirklich »hauptstädtisch« ist, aus der Provinz gekommen. Wie ich diese dreiste, miese »hauptstädtische« Überheblichkeit verachte, die sich von ihren obskuren Podesten herab in die Dinge des Lebens und der menschlichen Seele einmischt, obwohl ihr Wissen nicht einmal an die natürliche Durchschnittsbildung des Küsters einer Provinzkirche heranreicht! Wie ich diese geschwätzige Pseudourbanität, diese Stammtisch-Heimatlosigkeit geringschätze, wie kläglich ist doch dieser gespielte und aufgesetzte Dünkel, wie lächerlich diese vorgetäuschte Wohlinformiertheit! Immer überzeugter bin und bleibe ich ein Provinzler.
    MUSIK
    Aber ich mag es auch, wenn man im Radio aus der Oper in Rom überträgt und ich in der Pause mitbekomme, wie ein römischer Musiker hustet und unten im Orchestergraben – zwischen zwei Fugen – schnell mal die Hand vor den Mund hält.
    KRANKE
    Diese leichten, plötzlichen Krankheiten, die einen wie eine sündige Leidenschaft überfallen, mit Durchfall und Schüttelfrost; und in der Tat, die ganze Sippe steht zweifelnd und kopfschüttelnd ums Krankenlager, als hätte man sich auf verbotenem Terrain herumgetrieben. Was hat er wohl gemacht, heimlich, der Nichtsnutz? Ja, er war irgendwo.
    IM FRACK
    Dieser Autor ist, als trüge er beim Schreiben stets einen Frack; besonders wenn er ganz unmittelbar und einfach sein möchte. Gleich zu Anfang schlägt er einen Ton an, als neigte er sich zum Ohr des Lesers hin und flüsterte ihm etwas. Geschmeichelt lauschst du seinen Worten. Aber dann merkst du, dass er mit Tonverstärker flüstert; ganz leise, aber doch so, dass es auch die Welt vernimmt.
    DAS ZIMMER
    Gegen Abend kam ich in das Zimmer des toten Dichters. Nur für einen Augenblick trat ich ein; etwas wurde erklärt, gezeigt, das Licht angedreht, ich musste durch das Zimmer gehen, in dem er gelebt und gearbeitet hat.
    Vor einem halben Jahr ist er gestorben. Sein Zimmer war schon ein wenig durcheinander. In manchen Regalen hat man die Bücher bereits ein bisschen durchstöbert. Die große Chaiselongue war von ihrem Platz verrückt. Auf dem Schreibtisch stand zwischen den rührend schlichten Schreibutensilien die Briefwaage, auf der er – mit der Sorgfalt eines Krämers – das Gewicht der täglichen Post gewogen hat. Einmal warf er das Manuskript seiner Gedichte auf das filigrane Messinstrument. »Viel wiegen sie nicht«, bemerkte er zynisch.
    Das Zimmer, bereits in Auflösung begriffen, war dennoch erfüllt von der Aura dieses harten, unversöhnlichen Lebens. Es roch wie ein chemisches Laboratorium, in dem lange Zeit, Jahrzehnte hindurch, mit gefährlichen Stoffen hantiert worden ist, mit dem blauen Absud des Schmerzes, dem hellgrünen des Hasses und dem tuscheschwarzen des Todes. An der Wand das Porträt von Freud und ein Autograf von János Arany.
    All das habe ich nur blitzartig wahrgenommen. Ich stellte mir vor, wie er wiehern würde, sähe er mich hier, betroffen, im »verwaisten Zimmer des toten Dichters«. Sein Füllfederhalter lag auf dem Tisch, so wie er ihn hingeworfen hatte, als man ihn wegbrachte, zum Sterben. Von der Schwelle schaute ich zurück auf den Füller. Wundern würde es mich nicht, wenn er manchmal noch etwas schriebe.
    DIESE ABENDE
    Diese Abende, wenn mein Hund so um mich herumschleicht, als spürte er mein nahes Ende. Ich betrachte ihn argwöhnisch. Ordne Briefe und Schriften. Weiß gar nichts. Diese Unwissenheit wirkt beruhigend auf mich. Doch der Hund ist unruhig. Schaut misstrauisch. Dann legt er sich umständlich vor den Ofen, als hätte er mich verstanden und sich damit abgefunden.
    TROST
    Diese verzweifelten Tage, wenn mir alles, was ich jemals geschrieben habe, verdächtig vorkommt, wenn es unvorstellbar ist, dass ich jemals wieder starke, wahre und redliche Zeilen zu Papier bringen werde, wenn ich die Zeitung nicht aufzuschlagen wage, in der gerade an diesem Tag irgendein Artikel von mir erschienen ist, wenn ich sicher weiß, dass ich keinen Freund besitze und auch meine Feinde mich nur aus Zerstreutheit und Bequemlichkeit bisher nicht in Stücke gerissen haben: diese Tage, an denen es mir auch ein Trost ist, wenn mein Barbier, sich beim Einseifen über mich beugend, mir wohlwollend mitteilt: »Ich habe gelesen, Herr Redakteur, was Sie über die neue Markthalle geschrieben haben« – und mir aus dem Artikel meines Kollegen von

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