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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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Stimme des Lebens und des Todes. Die abgeernteten Hügel von Sasad, das Tal, in dem die Säuerlinge des Saxlehners* bitter werden, die Dörfer, wo man das Schwein bereits geschlachtet und die Keulen schon am Schlachtbalken hängen hat, die Kirchtürme, von denen man gerade zu Mittag und zugleich zum Begräbnis läutet, all dies wird in dem unverhofften, süßen, duftenden Sonnenschein veredelt, der nicht mehr sengt und auch nichts mehr zur Reife bringt. Er will nur noch wärmen, zärtlich und mitleidvoll.
    Wir stehen auf dem Hügel, es braust der Wind, und die Sonne scheint; stehen in dem sonderbar blassen Licht. Möglich, dass der Tod süß sein wird? Vielleicht wie das Kosen einer blonden Frau? Wird es vielleicht so sein, als begriffen wir etwas, als würde uns etwas klar?
    Von überall her tönt dieses metallische Klirren im Wind und im Sonnenschein; als beginne in einem mythischen Märchen der Goldregen zu fallen. Goldregen, der zugleich Symbol der Sinnlichkeit und Erinnerungszeichen einer goldenen Zeit, des persönlichen Friedens ist. Wir schreiten über das blonde Laub. Die Luft hat keinerlei Geschmack; ist kühl und schläfert ein.
    ZWISCHENRUF
    Ja, schreib die Wahrheit nieder, aufrichtig; aber mach dir klar, dass nicht diese sachliche Authentizität das Wichtigste ist. Du sollst ja nicht dem Gegenstand treu bleiben, sondern viel mehr und unerbittlich dir selbst.
    PESTER SLANG
    Als einer von diesen aus der Provinz nach Pest verschlagenen jungen Männern wusste ich lange nicht, was es ist, das mich in in dieser Stadt so befremdet. Pest war groß und glanzvoll, interessant und beeindruckend; alles hier hat mir gefallen, war aber zugleich auf so eigenartige Weise fremd, als wäre ich im Ausland. Dann verstand ich: Die Tonart der Stadt war mir fremd. Diese typischen Pester »Sprüche«, die so beängstigend überlegen wirkten, zum Beispiel »Und wenn schon« oder »Um ehrlich zu sein« oder »So jung«, dieses sonderbare Argot, das mich einschüchterte und verwirrte, als sei ich tatsächlich in die Welt der Klugen geraten, wo man etwas weiß, das nur Eingeweihte und Hiesige wissen können … Und dieses Argot wurde nicht nur von den Großstadtgaunern verwendet, diese Ausdrücke geisterten in allen Schichten der Stadt herum, selbst Schriftsteller und Proleten führten sie im Munde. »So wahr ich lebe …«, sagten auch namhafte Lyriker; und ich bestaunte sie, zugleich drehte es mir den Magen um.
    DIE GLORIOLE
    Baudelaire hat sich im Spleen de Paris beklagt, dass er bei einem seiner Spaziergänge auf dem Großen Ring im Gedränge seine Gloriole verlor. Da ging er ohne Gloriole, also ohne Würde und das geheime Mal, sogleich ins Bordell.
    Diese Geschichte ist sehr schön, und jeder Dichter wird sie mit Freude lesen. Doch leider kann man die Gloriole nicht je nach Laune zusammenfalten und in die Tasche stecken, bevor man einen anrüchigen Platz aufsucht. Eine unbarmherzige Hypothek ist das, dieser Dienst der Schriftsteller; schlimmer als der von Priestern und Soldaten. Die brauchen nur anrüchige und unwürdige Örtlichkeiten zu meiden; der Schriftsteller mit der Gloriole um sein Haupt muss die ganze unwürdige Welt meiden. Deshalb sitzt er meist daheim und allein.
    INNENLEBEN
    Der Schuster brachte die neuen Schuhe, die ich aus lauter Mitleid bei ihm bestellt hatte; und er betrachtete seine Arbeit voll Selbstzufriedenheit.
    »Meister, diese Treter sind bemerkenswert hässlich«, stellte ich in freundschaftlichem Ton fest.
    »Ja«, erwiderte er, »aber ihr Innenleben, das ist schön.«
    GRECO
    Greco, der Fieberwahn, mit schwarz-weißen Dominikanern, Opfern, die mit verkrampften Gesten die Arme zum Himmel strecken, mit dem Himmelsgewölbe, das stets lastend heiße, violette Sturmwolken verhüllen. Er sah die Welt, in der er lebte. Sein Herr, Philipp II ., hat ihn aus ebendiesem Grund nicht gemocht.
    DICHTUNG
    Dichtung ist nicht nur, was Dichter in Versform niederschreiben. Auch etwas nicht schriftlich Fixiertes, das in den Bewegungen von Frauen, im Blick von Tieren, in der Beleuchtung der Straßen und in der Kopfhaltung eines Vogels oder in der Botschaft eines nächtlichen Lichtstrahls gegenwärtig ist. Das alles sind Gedichte, ungeschriebene Gedichte. Manchmal echtere, wahrhaftigere als die geschriebenen und gereimten.
    VERRÄTER
    Beim Abendessen war mein Platz zwischen ihnen: zwischen der Frau und dem Mann, die der Stromschlag der Liebe getroffen hat. Der Ehegatte saß in einiger Entfernung, am Ende des Tisches. Ich

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