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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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gesehen und können die irdischen Landschaften dann nur mehr zerstreut und beiläufig betrachten.
    DER TISCH
    Ende Oktober ist der Tisch mit Blumen und Früchten gedeckt. In der Glasschüssel Birnen, Trauben und Äpfel, im Glaskrug bordeauxrote Chrysanthemen mit goldenen und braunen Blütenblättern. Alles ist fleischig, feierlich.
    Wir speisen bei elektrischem Licht. Während des Essens betrachte ich die Chrysanthemen, diese Trauerblumen, und kaue gierig und hastig die Bissen, als müsste ich zum Begräbnis eilen; Pfarrer und Leiche frieren.
    Der Tisch wirkt bei diesem künstlichen Tageslicht, inmitten der Früchte und der Blumen des Herbstes, wie ein Katafalk. Jedes Mal, wenn sich die Tür öffnet, blicke ich verängstigt vom Teller auf; ich würde mich nicht wundern, wenn plötzlich ein Leichenbitter, in Schwarz vom Scheitel bis zur Sohle, eintreten und mit gleichgültiger Stimme melden würde:
    »Es ist gedeckt.«
    ABSCHIED
    Diese Tage, die keine Namen, keine Bezeichnung im Kalender haben, und dennoch spüren wir, dass sie rot markiert sind: die Tage des Abschieds, wenn wir feststellen, dass wir von etwas befreit wurden, von einem Zustand, einem Lebensabschnitt, der getrübt, gefährlich war, lästig und belastend, jetzt hat er auf einmal ein Ende gefunden, und an seiner Stelle beginnt etwas anderes, ein neuer Abschnitt des Lebens, der vielleicht besser sein wird. Wovon verabschieden wir uns an solchen Tagen? Wir wissen es nicht genau. Alles scheint, wie es gestern war, wirr und hoffnungslos – und dennoch ist aus dem Leben etwas verschwunden, ein Schatten oder Intrige, und wir atmen auf. Dieses Gefühl wird von den Wilden mit Tänzen gefeiert. Richtig, auch von uns.
    SCHULDBEWUSSTSEIN
    Dieses Gefühl, als spräche ich immer über etwas anderes. Diese Wochen, Monate, wenn du gleichgültig der Welt hinterhersiehst, wie sie davonschwebt in ihrem Dampf und Rauch und es dich auch nicht rührt, wenn dies kein Ziel und keinen Sinn hat.
    Die Tage, die dir vorkommen, als hätten die Frauen ihren Schleier weggeworfen; bar ihrer Geheimnisse, gehen sie um dich herum, und du nickst dazu: Als wäre all dies tatsächlich eine Frage des Geldes.
    Jahre, in denen du erfährst, dass in der Tat alles eine Geldfrage ist.
    Das Leben, das dich lehrt, du sollst dein Schuldbewusstsein hätscheln und warm halten.
    AUFGABE
    Die Welt so wahrnehmen, als hättest du sie schon einmal gesehen, und so über sie reden, als hätte sie vor dir noch keiner gesehen.
    POLITIK
    Der Schriftsteller, der Mitglied einer Partei wird, hat Schwert oder Feder, wie’s beliebt, weggeworfen. Politisieren kann ein Schriftsteller nur auf eine einzige Weise: indem er vom Leben wahrheitsgemäß berichtet und die Menschen, gegen die Trägheit der Gefühle und des Selbstbewusstseins, zu mehr Anspruch erzieht. Flaubert hat die Französische Revolution auf seine Weise fortgesetzt, als er Madame Bovary schrieb. Er führte sie auf jeden Fall wirkungsvoller fort, als wenn er auf irgendeiner zufälligen Barrikade gefallen wäre.
    ERWACHSENSEIN
    Eines Tages wurde ich gewahr, dass ich in einem Zimmer meinem Anwalt gegenübersitze und mit ihm über Steuerfragen diskutiere. Da schwieg ich, sah mich um und schämte mich unsäglich. In diesem Augenblick verstand ich, dass alles, was vorher war, nur Traum, nur ein Übergang gewesen ist. In diesem Augenblick verstand ich, dass ich beschämend, unabänderlich und hoffnungslos erwachsen geworden war.
    DER GLOBUS
    Jenseits von Australien, am Ende des Ozeans, dort, wo auf dem Globus bereits Kogutovicz Manó und Söhne* steht, gibt es noch einen Punkt im Ozean, er ist so klein, dass es sich nicht lohnen würde, seinen Namen zu vermerken. Rundherum ist nur helblaues Wasser zu sehen, dann, sehr weit weg, kleine Inselgruppen, sodann irgendwo ganz in der Ferne beginnt der erste Kontinent. Das ist diese Insel …
    »Pass auf!«, rufe ich. »Das ist die Insel, auf der du gewiss den ganzen Tag nach dem Postschiff Ausschau halten, wo du von früh bis spät über das disputieren würdest, was dich auch heute nicht zur Ruhe kommen lässt, hier in Budapest, die Insel, auf der du im Traum dasselbe sähest, von dem du auch in deiner Budaer Wohnung träumst, wo du auf die Post, das Wunder warten und die unverständliche Wirklichkeit bestaunen würdest, genauso wie heute, daheim, an einem anderen Punkt auf dem Globus, zwischen Asien und Amerika.«
    AN EINEN RUHELOSEN SCHRIFTSTELLER
    Warum keuchst du? Warum hetzt du so? Warum schreibst du so hastig

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