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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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musste ertragen, dass sie über mich hinweg miteinander verkehrten, die fremde Frau und der Mann, den diese Frau heimlich liebte.
    Bislang hatte ich von ihrer Liebe nichts gewusst. Als sie sich aber über meinen Teller und mich hinweg mit erlesener Höflichkeit und Manierlichkeit zu unterhalten begannen, war mir klar, dass die zwei einander verzweifelt liebten. So etwas offenbart sich laut. Sie sprachen übers Theater und über Politik. Über die Liebe fiel kein einziges Wort. Als die Frau eine Zigarette hervorkramte, reichte der Mann mit erschrocken hastiger Bewegung ein nagelneues Feuerzeug hinüber, ein nicht sehr wertvolles, vernickeltes Utensil, das eine kleine Flamme spendete.
    »Was für ein hübsches Stück«, sagte die Frau und nahm den bescheidenen Gegenstand aus seiner Hand entgegen.
    »Ja, sehr hübsch«, bestätigte der Mann.
    Dann schwiegen sie. Die Frau gab das Feuerzeug zurück. Ich begriff, dass der handliche kleine Gegenstand ein Geschenk von ihr war; vor ein paar Tagen wird sie es vermutlich heimlich vom Haushaltsgeld erstanden und dem Mann gegeben haben.
    Ihrer beider Worte kamen aus der verräterischen Sinnlichkeit, aus dieser schwülen, zwielichtigen Heimlichkeit der Liebe, von dort, wo man das Geheimnis hütet, alle Verliebten, auch sie. Wir wagten nicht, uns anzusehen. Ich traute mich nicht, Feuer für meine Zigarette zu erbitten. Etwas war offenbar geworden. Wir senkten die Köpfe, starrten auf unsere Teller.
    VERTEIDIGUNG
    Dieser Schriftsteller ist böse. Aber doch Schriftsteller. Gegen seine Gleichgültigkeit und Ablehnung kann ich mich nur auf eine einzige Weise wehren: Ich muss künftig bessere Bücher schreiben, als ich sie schreibe.
    FEIERTAGE
    Als ich bereits erwachsen war und mich die Ordnung in der Welt der Erwachsenen schrecklich anödete, entschloss ich mich, neue Feiertage einzuführen: Nach dem Muster von Weihnachten, Ostern, Pfingsten kreierte ich den Berta-Tag , den Tag des Romanbeginns, den Wanderfeiertag , und diese Tage habe ich rot unterstrichen im Kalender, der danach nicht mehr derselbe und nicht mehr so gültig war wie vordem und für alle anderen. Darüber hinaus habe ich die Fünf-Tage-Woche geschaffen, die ich statt mit Montag mit dem Donnerstag anfangen ließ, und der Montag war der Sonntag. All das war viel einfacher, menschlicher, persönlicher und bequemer als die offizielle Zeiteinteilung, nach deren Feiertagen man sich unisono mit anderen freuen und feiern musste, wie in einem Gesangverein. Eine Zeit lang lebte ich so, außerhalb des Kalenders, trotzig und glücklich.
    Doch dann hat mich die Zeit, die derlei Auflehnung nicht duldet, gebrochen. So kehrte ich heim in den gregorianischen Kalender. Und seit geraumer Zeit hat die Woche wieder sieben Tage für mich, und Weihnachten findet zu Weihnachten statt. Zähneknirschend ertrage ich es, ohnmächtig und voll Trauer.
    DIE ROSTOWS*
    Nachts, auf dem Weg nach Hause, überfiel mich auf der Straße ein unsägliches Heimweh nach den Rostows. Gern möchte ich die Rostows besuchen gehen. Das Haus kenne ich genau, die breite Toreinfahrt, den Portier in seinem großen Pelz, den Aufgang, die gewölbten Räume mit den zierlichen Möbeln, die duftende Wärme der Holzscheite; dann diesen Geruch nach Hausapotheke, der sich im Zimmer der alten Gräfin ausbreitet, dieses etwas krause Durcheinander, das in Nataschas Zimmer herrscht. Da möchte ich an einem Nachmittag hingehen, bei Schneefall. Möchte ein Freund des jungen Rostow sein; wir würden über Hunde und den Zar plaudern.
    SARAH
    Ich habe Sarah Bernhardt auf dem Totenbett gesehen. Am Tor stand das Volk von Paris Wache; auf der schmalen Treppe, in den Korridoren drängten sich Tausende. Sie lag inmitten von Spitzen, war schrecklich alt, grimmig und maskulin. Als wäre sie im Sterben plötzlich noch weiter gealtert. Sie war wie ein General von 71, als Frau verkleidet.
    Zugleich aber war sie auch erhaben, übermenschlich. Die große, spitze Nase, die schmale, bärtige Lippe, die kluge Stirn, jeder Zug verriet ihre außerordentliche Souveränität. Sie lebte über den Menschen, bis zum Hals in Schulden, und selbst als Tote schwebte sie über der Welt, auf dem Höhepunkt ihrer Genialität und Persönlichkeitsentfaltung, als spielte sie gerade eine historische Rolle in irgendeinem Stück, dessen Heldin Sarah Bernhardt ist, die Szene, in der Sarah Bernhardt stirbt, aufgebahrt liegt und das Volk von Paris an ihr vorbeidefiliert. In dieser Rolle sah ich sie zum ersten und zum

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