Márai, Sándor
Geschichte.
KOMPLIMENT
Der Dichter nahm den reizenden Kopf der Angebeteten zwischen seine beiden Hände, betrachtete ihn lange und mit schmachtendem Blick. Dann sagte er:
»Was Sie für schön geformte Schädelknochen haben.«
GESETZE
Füge dich drein – tröstete ich ihn –, was du auch tust, die Gesetze wachen über dich, göttliche und menschliche. Und es sind eherne Gesetze. Wie ungestüm du auch aufbegehrst, schreist, dich von anderen absetzt, kreischend beteuerst, dass du ›im Grunde‹ anders bist, besser oder edler oder niederträchtiger oder interessanter: Das Gesetz ist taub und wird sich über dir erfüllen. Diesen unbarmherzigen Gesetzen müssen dein Körper, deine Seele sich fügen. Im Allgemeinen heißt es, sprichwörtlich: Der Starke widersteht dem körperlichen Verlangen. Oder: Den Gläubigen kann weder Geld noch Eitelkeit und auch nicht der Machttrieb ins Wanken bringen. Oder: Meist fängt eine Witwe mit ihrem Untermieter ein Verhältnis an. Oder: Diese Frau betrügt ihren Mann mit Hinz und Kunz, aber im Grunde liebt sie ihn doch. Merke dir, das Gesetz pfeift auf all das: Diese Frau, die glaubt, dass sie viel anständiger und ehrenwerter als der Durchschnitt ist, wird eines Tages Witwe und fängt dann natürlich und realiter ein Verhältnis mit dem Untermieter an, der starke Charakter wird glücklich sein, wenn ihn das körperliche Verlangen bezwingt, und der Gläubige eines Tages aufatmend vor dem Geld oder der Eitelkeit oder dem Taumel der Macht kapitulieren. So ganz individuell und verschieden sind wir ja gar nicht. Gesetze bestimmen uns. Wir sind eben Menschen.
STALIN
Mir ist jeder professionelle »Stahlharte« verdächtig. Ich sehe ihn anders, als er in Karikaturen und auf kämpferischen Fotos gezeigt wird: nämlich im Harnisch von oben bis unten, wie er inmitten seiner bajonettbewehrten Leibgardisten in Blut watet.
Ich stelle mir vor, dass er etwas Verweichlichtes, etwas Orientalisches, Hinterhältiges und Blutrünstiges hat, etwas von einem dekadenten georgischen Lustmörder; in seiner Kemenate eine Wasserpfeife und samtbezogene Sofas, an den Fenstern schwere, aus edlem Material gewirkte Vorhänge, er selbst trägt einen Schlafrock aus hellblauer Seide, rasiert sich den Nacken und schlüpft am Nachmittag in weiche Pantoffeln aus Saffianleder, nascht Süßigkeiten, reibt sich die Hände, blinzelt und grinst. Vermutlich verwendet er auch schwere orientalische Duftwässer; die Füße lässt er sich mit Öl salben.
FRAGE
Vor drei Jahren ist er gestorben. Manchmal stelle ich mir vor, wie er wohl jetzt aussehen mag, was von ihm geblieben ist. Ich kann bereits ohne Schaudern daran denken. Wir haben ihn in seinem schwarzen Gehrock begraben, ohne Schuhe, ihm schwarze Socken angezogen. Diese Kleidungsstücke sind gewiss noch vorhanden in seinem Grab; dürften aber etwas feucht und zerknittert sein, doch im Großen und Ganzen noch, wie sie am Tag des Begräbnisses waren. Was ist wohl von seinem Fleisch geblieben? Vor drei Jahren ist er gestorben; die Augen, seine gütigen, traurigen Augen, sind schon ausgelaufen. Das Gehirn, die weichen Teile, vertrocknet. Das Blut versickert. Seine Knochen werden noch tadellos erhalten sein, die Nägel etwas gewachsen, ein wenig auch das Haar. Würde ich heute den Sarg öffnen, fände ich noch den Stoff auf, aus dem er bestand, nur in seiner Zusammensetzung ursprünglicher und einfacher. Irgendwo existiert er noch, auch stofflich. Der Mensch stirbt langsam. Nicht nur zur Unsterblichkeit braucht es Zeit; auch zur Sterblichkeit.
STREIKEN
Ich verspüre keine Lust mehr, »Werke« zu verfassen. Möchte nur noch schreiben, so wie eine Pflanze atmet, wie das Herz eines Menschen schlägt, so leicht und so geneigt, Zeilen, die nicht Bestandteile irgendeines fremden Gebildes, des »Werkes« sind, sondern aus sich heraus existieren, wie ganz bescheidene Kreaturen, denen ihre innere Form die Existenzberechtigung gibt.
Etwas streikt in mir. Ich habe keine Lust mehr, mich ans Fließband der Literatur zu stellen. Doch schreiben, in einem Kaffeehaus oder in der Straßenbahn, drei Zeilen – als diktierte sie jemand. Warten auf den Befehl, wann man zu schreiben hat, unverzüglich, so wie man atmen muss. Warten auf den Augenblick, an dem das Leben sich verrät. Leise und mit Kraft schreiben; so schreiben, wie eine Pflanze wächst. Eine Zeit lang will der Mensch das Meer beschreiben, später, beleidigt, den Wassertropfen, aber so, dass darin auch das Meer enthalten ist;
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