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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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richtigen Freuden mehr bereiten können. Aphrodite möge sie strafen. Die Erbsünde ist bei ihnen, und für die gibt es keine Lossprechung. Irgendwo leben noch die Frauen, die echten, unten in der Tiefe, außerhalb der Klasse und der Moral. Eines Tages werde ich doch zusammenpacken und heimkehren zu ihnen.
    DEMUT
    Es gibt keine andere Waffe in der Auseinandersetzung mit der Welt als die Demut; nicht die devote, sich an die Brust schlagende Ergebenheit, sondern die andere, die ruhige, die ohne Demutsgesten der Welt in die Augen sieht, ihr nicht beteuert, dass sie ja im Recht ist, nicht hysterisch auf die eigenen Sünden und Geschwüre verweist, keine Belohnung für diese Demut erwartet, die sie angesichts des Elends, der Hoffnungslosigkeit, der Unverfrorenheit und Mitschuld der Menschen befällt; es gibt eine Art Demut, die auch eine Waffe sein kann, es gibt eine Form des Verneigens, auf die man nur mit einer Verneigung antworten kann. Ich verlange nicht, dass du dein Schwert wegwirfst. Aber fuchtle mit ihm nicht herum. Trage es selbstbewusst und bescheiden wie der Mann des Mittelalters, der wusste, dass man mit dem Schwert nicht nur Haus und Hof, sondern auch den Glauben und eine Idee verteidigen kann. Möchtest du stark sein? So bleibe gelassen, aufmerksam und demütig.
    DIE WARTENDEN
    Sie haben einmal etwas aufgeschnappt, und jetzt lauern sie und schwätzen. Als hätte ich ihnen versichert, dass ich nur so und nur das schreiben würde, ein Leben lang; wo ich doch nicht einmal weiß, was ich träumen, wen ich lieben, wessen Opfer und wessen Mörder ich morgen sein werde … Nein, mein Herz, so haben wir nicht gewettet. Ich bin nur mit mir selbst einen Vertrag eingegangen. Und so gern ich ihn manchmal kündigen möchte: Dieser Vertrag ist unauflösbar.
    SHAKESPEARE
    Die Engländer möchten sich selbst und die Welt glauben machen, dass Shakespeare am Ende seines Lebens, als er London bereits für immer verließ, auch alles, was Theater, Komödianten, städtische Intrige war, hinter sich gelassen hat und nur noch der Erinnerung, dem Zurechtpolieren seiner letzten Werke lebte, sich mit der Welt versöhnte und mit zahmer, weiser Zustimmung über Sünde und Tugend zur Tagesordnung übergegangen sei. Das ziemt sich für ein Genie, sagen die Engländer. Eine anspruchsvolle und umfangreiche Fachliteratur erklärt und bezeugt diesen Frieden. Doch macht Strachey* darauf aufmerksam, dass Shakespeare gerade in Stratford, in dieser »Stimmung der Nachsicht und des Vergebens«, nicht nur Cymbeline , das Wintermärchen und den Sturm geschrieben hat, sondern auch die drei Bruchstücke, teilweise den Perikles , Heinrich VIII . und Die beiden edlen Vettern . Die Interpretation dieser Werke lehrt uns, dass Shakespeare am Ende seines Lebens keineswegs Frieden schloss mit der Welt, sondern regelmäßig weiterzeterte und -lästerte. Mit dem letzten Zorn seiner schöpferischen Kraft, als er schon alles über den Menschen wusste, schuf er mit blutunterlaufenen Augen schließlich Caliban*. Und Caliban röchelt – es ist, als nähme Shakespeare mit diesen Worten Abschied von den Menschen, von Gott und der Welt – : »Ihr lehrtet Sprache mich, und mein Gewinn ist, dass ich weiß zu fluchen.«
    WAHRSAGEN
    Nicht nur der Mensch wird sterben, keine Angst. Eines Tages sterben auch die Steine. Dann stirbt das Feuer, und es bleibt nur eisiger Staub in der Welt. Danach stirbt auch der Staub, denn da wird nichts sein, was er zu bedecken hat. Alle Sterne werden die Augen schließen, denn es gibt für sie nichts mehr zu sehen. Alles stirbt einmal. Fürchte dich nicht. Geh nur, spiele, mit den Kieselsteinen, mit Büchern und Liebschaften.
    DIE KAMMER
    Jedes Jahr riskiere ich einen Blick in die Speisekammer und stelle dann schlecht gelaunt fest, dass da irgendwo ein Fehler passiert ist. Schon die Abmessungen der Kammer deprimieren mich, nur ein paar Regalbretter finden darin Platz und gerade noch der Eisschrank. Die richtige Speisekammer, die ich mir immer gewünscht hätte, sah anders aus, ein Gewölbe, weitläufig und luftig, mit vergitterten Fenstern und verrosteter Eisentür, auf dem Steinboden einige Zentner Kartoffeln, in der Ecke eine Mehltruhe, mehrere Säcke Mischmehl, oben im Gewölbe hingen Speckseiten, Schinken, getrocknete Rippchen und in Kränzen geräucherte Würste, dann gab es Champignons, rote Paprika und Zwiebelzöpfe. Auf den Stellagen vierhundert Gläser Eingewecktes, schön aufgereiht; dann Schmalztiegel; Gewürze und unter dem

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