Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
Vom Netzwerk:
hier
meinen? Ja, Sie. Er heißt nicht Jean. Ich hab seinen Vornamen bestimmt gehört.
Hab ihn aber vergessen. Jedenfalls war’s nicht Jean. Sie wissen doch, von wem
ich rede?“
    „Von... von... sicher nicht von
Monsieur Mareuil.“
    „Nein, nicht von Mareuil. Ich
rede von Latuit. An seinen Familiennamen erinnere ich mich nämlich sehr genau.
Latuit, die Schwuchtel, der Ausbrecher von Fresnes, Mörder von Cabirol, der
Schwule mit dem Januskopf, beidhändig, heute hier, morgen da. Der weiß ein
hübsches Kind wie Sie bestimmt zu schätzen...“
    „Wie können Sie...“
    „...das wissen?“
    „Ich frage Sie nicht, was Sie
wissen oder nicht“, schrie sie. „Ich frage Sie, wie Sie es wagen können, mich
derart zu beschuldigen?“
    „Aber ich beschuldige Sie doch
gar nicht, meine Liebe. Ich stelle nur fest. Mehr nicht. Ich stelle fest, daß
Sie ein Opfer sind. Und weil Sie eine Dummheit nach der anderen begehen, sitzen
Sie so tief in der Patsche, daß man Sie bald nicht mehr rausziehen kann. Hören
Sie...“
    Ich stand auf, ging zu ihr hin
und fragte mit leiser Stimme: „Ist er da?“
    „Es ist niemand da“, empörte sie
sich.
    „Trotzdem, ich spreche lieber
leise. Hören Sie...“
    Ich nahm sie in meine Arme. Sie
zitterte. Ich flüsterte ihr ins Ohr:
    „Er war ihr Liebhaber, bevor er
in den Knast kam. Sie müssen ihn durch Cabirol kennengelernt haben. Sie kannten
Cabirol als Freund ihres Vaters. Latuit hatte mit Cabirol zu tun, wie Gauner
und Hehler miteinander zu tun haben. Neulich war er in der Rue
Francs-Bourgeois, als sie auch dort waren. Ich glaub nicht, daß Sie bei dem
Mord dabeiwaren. Aber er, er hat mitgekriegt, wie Sie sich mit Cabirol
gestritten haben. Er hat ihn getötet, teils wegen Geld, teils aus Eifersucht.
Beide Gefühle gaben ein explosives Gemisch. Und jetzt erpreßt er Sie. Droht zu
erzählen, daß Sie dabeiwaren. Nach dem Mord hat er sich im Haus von Isabeau von
Bayern verkrochen. Wollte warten, bis daß sich die Aufregung legen würde.
Leider wurde er von Badoux aufgescheucht. Und leider mußte Badoux sterben. Also
hat er hier Zuflucht gesucht. Ich will nicht sagen, daß solche Häuser nur aus
Hinterkammern und heimlichen Treppen bestehen. Aber man kann sich ganz gut
verstecken, in den Ecken. Vor allem, wenn sich die Gangsterbraut im Zimmer
einschließt. Das hat er von Ihnen verlangt. Und er hat noch was anderes
verlangt ..
    Plötzlich entkrampfte sie sich
in meinen Armen. Sie weinte. Ich schüttelte sie, fuhr aber fort, ihr ins Ohr zu
flüstern, einer hübschen Muschel, verführerisch duftend:
    „Antworten Sie, verdammt
nochmal! Ich hab’s eilig! Geben Sie’s zu... Geben Sie doch zu, daß ich richtig
liege!“
    Sie ging mit dem Kopf zurück
und sah mir ins Gesicht. Sie weinte noch immer. Ihre feuchten Augen leuchteten
auf. Sie seufzte:
    „Ich weiß es nicht... weiß es
nicht...“
    „Aber ich weiß es. Wenn Latuit
hier ist, dann hab ich richtig kombiniert. Ist er hier?“
    „Ja“, hauchte sie nach kurzem
Zögern.
    Ich nahm ihren Kopf in meine
Hände und brachte ihr Ohr wieder an meinen Mund:
    „Sie müssen Schluß damit
machen. Sie können ihn nicht wie ein Klotz am Bein mit sich rumschleppen. Er
hat getötet. Cabirol, Badoux. Sie müssen ihn loswerden. Wollen Sie das?“ Sie
antwortete nicht. Ich ließ sie los und ging einen Schritt zurück.
    „Holen Sie ihn her“, befahl ich
ihr hart. „Ich hab mit ihm ein Wörtchen zu reden.“
    „Bin schon da, M’sieur!“ Eine
gemeine Stimme, breit und schleimig. „Drehn Sie sich ‘n bißchen um,
bitt’schön.“
    Ich gehorchte. Als erstes sah
ich eine dicke Kanone mit einem Schalldämpfer, die direkt auf meine edlen Teile
zielte.
     
    * * *
     
    Aber er sah natürlich genau
dasselbe. Als sähe er in den Spiegel. Nur daß ich nicht so eine dreckige Visage
habe. Dafür hab ich zwei gesunde Hände. Während ich getan hatte, was er von mir
verlangte, hatte ich ebenfalls meine Kanone rausgeholt. Die beiden Schießeisen
hielten sich gegenseitig in Schach.
    „Wir stehen punktgleich“,
lachte ich. „Hören wir auf mit dem Zirkus, und stecken wir unsere Artillerie
wieder weg.“
    „Ich behalt meine“, knurrte er.
    Das einzige, was an Latuit
nicht zerknittert war, war sein Anzug. Erstaunlich. Isabeau von Bayern hatte
keinen modernen Komfort zu bieten. Aber der junge Mann wußte wohl, was eine
gepflegte Erscheinung wert ist. Sein Anzug jedenfalls konnte sich sehen lassen.
Alles andere aber sah zerknautscht aus: Haut, Nase, Augen, Mund.

Weitere Kostenlose Bücher