Marais-Fieber
Der Prototyp
eines blassen Gangsters, dem das Böse aus allen Poren dringt. Wie man sich so
einen vorstellt, ohne ihm je begegnet zu sein. Nur ich, ich begegne diesen
seltenen Exemplaren auf Schritt und Tritt.
„Wie du willst“, sagte ich.
„Ganz schön blöd. Wir werden doch wohl nicht hier rumballern, hm? Dann müßten
wir schon völlig behämmert sein Ich steckte die Waffe wieder ein.
„...Ich bin hergekommen, um mit
dir zu reden, Latuit. Darf man sich setzen? Könnte länger dauern.“
Wir setzten uns. Eine hübsche
kleine Runde zu dritt, im Freundeskreis sozusagen. Odette knetete nervös ihre
Finger.
„Woher haben Sie gewußt, daß
ich hier bin?“ fragte der Spitzbube. Das Sie konnte einem den Nerv töten.
„Ich hab einfach
zusammengerechnet. Hin und wieder spiel ich Buchhalter. Als ich hörte, daß der
tote Badoux dich aus deinem Unterschlupf vertrieben hatte, dachte ich, du wärst
dann bald erledigt. Passierte aber nicht. Also hattest du ‘ne andere Bleibe
gefunden. Und zwar weder bei Freunden noch in einem drittklassigen Hotel. Denn
beides hattest du von Anfang an vermieden. Dazu, sozusagen gleichzeitig, erwischt
Mareuil seine Verlobte in flagranti, auf frischer vorehelicher Tat. Mit einem Kerl, der aussieht wie ‘n Gauner.
Sofort kommt mir Fresnes in den Sinn. Warum? Mareuils Spezialitäten sind
Scherzartikel. Und die werden in Gefängnissen hergestellt. Ich will dir sogar
eins sagen, Latuit: Mareuil fährt bestimmt häufig nach Fresnes, um seinen
Krempel abzuholen. Und bestimmt macht er sich so seine Gedanken darüber. Und
zusammenrechnen kann er auch. Vielleicht hat er dich da gesehen und hier
wiedererkannt. Schön. Also, wie ich schon sagte: mir kommt Fresnes in den Sinn,
und ich sage mir: wenn Latuit tatsächlich von Mareuil bei Odette Larchaut
erwischt worden ist, dann hat er sich bei ihr verkrochen.“
„Und weiter?“
„Ich bin hergekommen, um meine
Überlegungen zu überprüfen. Sie haben die Prüfung bestanden.“
Er nickte anerkennend:
„Tüchtig, tüchtig.“
„Wie immer“, lächelte ich.
„Und was haben Sie eben der
Kleinen erzählt?“
„Eine Liebesgeschichte. Ihre
eigene. Willst du sie hören?“
„Bitt’schön, M’sieur.“
Ich erzählte im Odettes
Liebesgeschichte. Bis auf die zwei oder drei letzten Sätze. Er hob die
Schultern:
„Schön. Und jetzt? Sie wollten
mit mir reden, M’sieur.“
„Halt endlich die Schnauze mit
deinem M’sieur. Oder ich nenn dich Ma’moiselle.“
„Mir doch egal. Also? Was
wollten Sie mir sagen?“
Kein M’sieur mehr. Er machte
Fortschritte.
„Fragen wollte ich dich was:
was hast du vor? Hier bleiben, für immer? Geht nicht. Und selbst wenn’s geht:
Unter solchen Umständen leben, dann kannst du auch gleich wieder in den Knast
gehen.“
„Haben Sie ‘ne bessere Lösung,
M’sieur?“
„Du brauchst schon ‘n Haufen
Kohle, um von der Bildfläche zu verschwinden. Die Flics suchen dich wegen des
Mordes an Cabirol, vergiß das nicht.“
Er zuckte die Achseln:
„Red keinen Quatsch.“
„Wer redet hier Quatsch? Du! Du
hast den Überblick verloren. Du hast den Kopf verloren. Und nachgedacht hast du
auch nicht...“
„Worüber soll ich denn
nachdenken, Herrgott nochmal? Da kommt so’n Kerl, den hab ich vorher zwei- oder
dreimal bei Cabirol gesehen. Der hat mich nämlich am Anfang bei sich versteckt,
jetzt kann ich’s ja sagen. Da kommt dieser Bücherwurm und quatscht von der
Polente...“
„Also machst du ihn kalt.“
„Pardon, M’sieur. Nur ‘ne
kleine Schlägerei. Er fällt runter. Unglücksfall!“
„Von wegen! Du wirst doch wohl
ein klein wenig nachgeholfen haben, oder?“
„Denken Sie, was Sie wollen.
Ich pfeif drauf. Übrigens... wieso Überblick verloren? Welchen Überblick soll
ich verloren haben?“
„Er war auf Schatzsuche, du
Blödmann. Und diesen Schatz gibt es tatsächlich. Die Flics wollen’s nicht
glauben. Keiner will’s glauben. Alle glauben an fliegende Untertassen und an
grüne Marsmännchen. Aber zu glauben, daß die Geldsäcke damals vor zwei- oder
dreihundert Jahren ihre Reichtümer vergraben haben, dafür sind sie zu ernsthaft.“
„Und Sie, M’sieur? Glauben Sie
daran?“
„Und wie, Ma’moiselle! Weil ich
mich schon seit langem dafür interessiere. Aber ich kann nicht ganz alleine
arbeiten. Also hab ich mir gesagt: wenn ich den Latuit tatsächlich da finde, wo
er sich verkriecht, dann kann der mir doch ein paar Tips geben. So. Hier bin
ich. Wo sind die Tips?“
„Welche
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