Marais-Fieber
können. Sie sollten dieses Märchen doch
nur erzählen, weil Jacquier verdammtes Pech gehabt hat. Geld behalten, aber
nicht mitmachen!“
„Jaja“, brummte Mario.
„Schlitzohr! ... Wo wir schon mal dabei sind, kann ich gleich alles erzählen,
oder? Man hat mir noch mehr Geld versprochen, wenn ich mich genau an die
Anweisungen halte. Natürlich hab ich mir so was Ähnliches gedacht, daß Jacquier
Pech gehabt hat, wie Sie’s nennen... War mir aber scheißegal. Schließlich hatte
er’s fertiggebracht, mit Pearl zu schlafen, wenn Sie’s genau wissen wollen! So.
Und jetzt haun Sie ab. Ich hab alles gesagt, was ich weiß.“
„Nur noch nicht, wer Sie
angerufen hat.“
„Aber den kenn ich doch nicht!“
„Ein Mann?“
„‘Ne Stimme wie’n Möbelpacker.“
Ich fuhr mit dem Taxi nach
Hause. Während der ganzen Fahrt und noch vor dem Schlafengehen dachte ich
angestrengt nach. Dann rief ich Hélène an:
„Gut nach Hause gekommen?“
„Danke, ja.“
„Noch mitgenommen?“
„Ein wenig. Das war furchtbar.“
„Gibt Schlimmeres.“
„Glaub ich nicht.“
„Ich glaub’s für Sie mit. Gute
Nacht, mein Schatz. Ach ja! Morgen ist Samstag. Dann bis Montag.“
„Bis Montag. Gute Nacht, Chef.“
„Werd noch nicht schlafen. Da
sind nämlich noch so viele furchtbare Sachen, über die ich nachdenken muß.“
Ich schlief tatsächlich
schlecht. Mein armer dynamischer Detektivkopf rauchte. Um fünf Uhr machte ich
endlich die Augen zu. Später erfuhr ich, daß Miß Pearl ihre etwa zur gleichen
Zeit geschlossen hatte. Nur, daß sie sie nie mehr wieder öffnen sollte.
13
Irre und kluge
Köpfe
Um neun Uhr stand ich mit einem
Kater erster Güte auf. Trotzdem rief ich sofort Madame Jacquier an, um ihr
Bericht zu erstatten.
„Ich hab heute morgen noch
keine Zeitung gelesen“, sagte ich. „Ich weiß nicht, ob was drinsteht. Gestern abend hat’s nämlich einen Unfall gegeben, im Zirkus...“
„Ja, ich weiß. Miß Pearl.
Ist...“
„Ich konnte vorher mit den
Akrobaten sprechen. Ihr Mann war nicht mehr bei ihr. Letzten November ist er
ihr nach London gefolgt, dann nach Brüssel und wieder nach London. Anscheinend
in England geblieben. Sieht aus, als hätte er sich jetzt in eine Kunstreiterin
verknallt.“
„Also wirklich!“
„Ja. Ich werd meinem
Korrespondenten nach London kabeln... (Hört, hört!)... und Sie auf dem laufenden halten.“
Dann sah ich nach, ob ich immer
noch Jacquiers Foto hatte. Entschuldigen Sie bitte wegen der Kunstreiterin, Sir, aber die Lebenden müssen was
zu beißen haben. Das Foto von Miss Pearl warf ich in eine Schublade, nachdem
ich es mir noch einmal lange angesehen hatte. Dann ging ich in die Rue de la
Perle. Ich hatte ein paar Fragen an die Arbeiter der Gießerei Larchaut.
Ihre Umrisse zeichneten sich
wieder vor demselben glutroten Hintergrund der brennenden Öfen ab. Läppische 1
700 Grad! Wie hatte der eine Arbeiter noch gesagt? ‘Sollte man nicht die Finger
reinstecken’! Der Mann, der mit seinem langen Löffel den teuflisch brodelnden
Pot-au-feu abgeschöpft hatte, erinnerte mich an den Teufel selbst. Wenn der
einen ruft, muß man den Löffel abgeben. Ohne Schwierigkeiten bekam ich Namen und
Adresse des Unglücklichen, der im letzten November verrückt geworden war.
Charles Sébastien, Rue Meslay. Ich erfuhr auch noch, um welche Krankheit es
sich bei ihm handelte und wie sie sich äußerte. Offenbar hatte er Angst vor dem
Feuer. Also wirklich, für einen Gießer, hm? Nicht gerade günstig. In dem Beruf
ist man besser Pyromane als Pyrophobe.
Auf in die Rue Meslay.
* * *
Eine alte Frau öffnete die Tür.
Sie sah dem Dienstmädchen von Madame Jacquier ähnlich. Ihre Schwester.
„Ist Monsieur Charles Sébastien
zu Hause?“ fragte ich. „Mein Gott! ...er ist da...ja...“
Ich setzte eine entsprechende
Miene auf:
„Ohne da zu sein... Ich weiß.
Darf ich reinkommen?“
In der Wohnung machte ich ihr
mit besonders schönen Worten klar, daß ich das Recht hatte, sie über den
Geistesgestörten auszufragen und mir ihn selbst anzusehen.
Der kranke Sébastien hatte drei
Monate in einer geschlossenen Anstalt zugebracht. Als seine Wahnvorstellungen
nachgelassen hatten, war er wieder nach Hause gekommen, zu seiner Mutter und
seiner Tante.
„Sie nehmen ihn uns doch nicht
wieder weg?“ fragte sie ängstlich. „Er ist ganz vernünftig. Wissen Sie, es
macht einen kaputt, einen von der Familie in der Anstalt zu haben... Wir opfern
uns für ihn auf, nur um
Weitere Kostenlose Bücher