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Marathon Mosel

Marathon Mosel

Titel: Marathon Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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Menschenstrom zum Stocken.
    Endlich waren die letzten fünfzig Meter überwunden. Ben stieg, ohne sich umzusehen, die Stufen zum WC für Herren hinab. Unten im Gang schloss er die Stahltür auf. Niemand schien ihn zu beachten. Alle strebten dem Pissoir zu.
    Erst nach einem halben Kilometer richtete sich Ben in dem Schacht, der direkt neben der Bühne an der Porta Nigra nach oben führte, auf und dehnte seinen Rücken.
    Die Musik schien noch lauter als am Vorabend zu sein. Wieder wurden deutsche Texte gesungen. Diesmal verstand es der Sänger, sein Publikum dazu zu bewegen, aus vollem Halse mitzusingen.
    Ben schichtete die Klinker zu einem Podest auf. Dazu benötigte er fast alle Steine, die er am Abend aus dem Deckengewölbe geschlagen hatte.
    Auf dem Podest balancierend, legte er eine Rohrzange an die Zünderschraube hoch über seinem Kopf. Sofort spürte er das Pochen seines Herzens. Es ließ nicht nach. Er setzte das Werkzeug wieder ab.
    Diese Bombe hatte die Porta Nigra, ein Weltkulturerbe ersten Ranges, um ein Haar verfehlt. Ben würde vollenden, was den Alliierten im Krieg nicht gelungen war. Er hatte aus einem Buch erfahren, dass die Metallklammern zwischen den Steinen des Stadttores im Mittelalter entfernt worden waren. Im Prinzip lagen viele Blöcke nur noch lose aufeinander.
    Im Geist sah er bereits die gewaltigen schwarzen Quader wie Bauklötze durch die Luft fliegen. Die Bilder würden immer wieder über die Fernseher flimmern. Zerstörung faszinierte die Menschen.
    Oben wurde die Biene Maja besungen. Ben fand es passend, von einem fliegenden Geschöpf zu singen, falls er dabei versehentlich die Detonation einer fünfhundert Kilogramm Sprengstoff enthaltenden amerikanischen Fliegerbombe auslösen sollte.
    *
    Doris und Walde lehnten mit Tellern in den Händen am Brückengeländer. Walde spießte den Salat auf, den er über den Nudeln drapiert hatte, und schaute stromaufwärts. Ein Schiff glitt heran. Die Musik übertönte das Geräusch der Maschinen und der von dem breiten Bug vorangeschobenen Welle. Die Spitze des Schiffs schob sich unter der Brücke hindurch. Ihr folgte ein langer Rumpf, der in der Mitte in einen zweiten Verband überging. Das dunkle Führerhaus kam in Waldes Sichtfeld. Er dachte an den fliegenden Holländer mit seinem Geisterschiff. Nur an Backbord hing ein Lämpchen.
    Eine Sternschnuppe huschte über den Himmel.
    »Hast du gesehen?«, sagten beide im Chor. Als Doris den Arm über das Geländer streckte, wurde er rot angestrahlt.
    Hinter ihnen steigerte sich die Musik zu einem wilden Rhythmus, der in einem Tusch gipfelte.
    Unten rollte eine weiße Welle über den Fluss. Walde wusste nicht, ob er das Klatschen des Wassers gegen die Brückenpfeiler hörte oder es sich einbildete.
    »Hast du dir was gewünscht?«, fragte Doris.
    Walde nickte. Die Band stimmte einen langsamen Blues an.
    »Wenn ich mal heiraten sollte, dann nur da.« Doris sah in die Ferne.
    Walde folgte ihrem Blick hoch auf den Markusberg. »An der Mariensäule?«
    »Nein, da«, sie deutete nach links.
    Walde schaute auf die ebenfalls angestrahlte Markuskapelle. »Ob das möglich ist?«
    »Dass ich jemand finde, der mich heiratet?«
    »Nein, ich meine die Kapelle. Du bist jung, siehst gut aus, bist ziemlich fit, hast schon ein Kind, in dieser Hinsicht muss man sich auch keine Mühe mehr geben …«
    Sie umfasste blitzschnell seine Taille und hob ihn an. Walde stieß an das Geländer. Sein Becher schwappte über. Dann stand er wieder auf den Füßen.
    »He, wer soll morgen mit dir laufen?«
    »Ich find’ schon jemanden.«
    Walde ließ das Geländer los. »Sollen wir tanzen?«
    »Wie bitte?«
    *
    Ben setzte die Zange ein weiteres Mal an und versuchte, sie zu drehen. Die Schraube bewegte sich keinen Millimeter.
    Er nahm das Spray zum Lösen von festgerosteten Schrauben aus dem Rucksack. Ein Teil der Flüssigkeit tropfte von der Flügelschraube auf seinen Helm. Inzwischen wurde oben ’ das Mädchen Carina’ besungen.
    Beim nächsten Versuch gab die Schraube nach. Ben setzte die Zange ab und drehte mit der Hand weiter. Als die Schraube sich ablöste, hielt er sie auf das Metall gedrückt und fasste mit der linken Hand nach oben, um den Zünder am Herausrutschen zu hindern. Mit äußerster Vorsicht zog er ihn aus der Bombe hervor und ließ ihn in seinen Rucksack gleiten.
    Er drückte die graue knetbare Masse in den freigewordenen schmalen Kanal, drückte so fest, bis sie nicht mehr herausrutschen konnte. Das Hämmern in seiner

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