Marathon
Finanz- oder Sozialamt konnten viel mit dem Namen des Mannes
anfangen, der vor fünf Jahren mal vorläufig festgenommen
worden war, nachdem er in einen Bayenthaler Vorgarten gepinkelt
hatte. Bei der Polizei war er dagegen kein Unbekannter: Es gab zwei
Anzeigen wegen Körperverletzungen und eine Verurteilung wegen
Brandstiftung. Er habe die Scheune eines Bauern in Fühlingen
angezündet. Eine aktuelle Adresse fand sich in den
Polizeiakten jedoch nicht.
Ein paar Zufälle
hatten schließlich geholfen, seinen Wohnort in Holweide
ausfindig zu machen. Gollembeck wohnte im Haus seiner verstorbenen
Mutter, die den Namen seines verzogenen Stiefvaters angenommen
hatte.
Nachdem Gröber
geschellt hatte, öffnete ein dünner, großer,
hässlicher Mann die Tür. Seine ungekämmten, langen,
tiefschwarzen Haare fielen ihm ins Gesicht, auf seinem schwarzen
T-Shirt, auf dem völlig verwaschen der mittlerweile
unleserliche Slogan irgendeiner Hardrock-Band stand, sammelten sich
die Schuppen. Die Augen waren rot unterlaufen.
»Was wollen
Sie?«, fragte Andreas Gollembeck und blies ihnen durch
schiefe Zähne und grünlichen Zahnstein üblen
Mundgeruch entgegen.
Remmer zeigte ihren
Ausweis.
»Guten Tag,
schöner Mann. Wir möchten uns mit Ihnen über ein
paar Leute unterhalten, die Sie mal gut gekannt
haben.«
»Hab ich mir
gedacht«, murmelte Gollembeck nur und schlurfte voraus, ohne
sie hereinzubitten. Remmer und Gröber betraten eine Wohnung,
in der offensichtlich seit Monaten nicht mehr Staub gewischt worden
war, und folgten ihm durch einen unaufgeräumten Flur in ein
Zimmer, das wohl in grauer Vorzeit mal ein Wohnzimmer gewesen war.
Überall fanden sich Zeichen der totalen Verwahrlosung. Der
Boden einer zerschnittenen Colaflasche aus Plastik und eine leere
Katzenfutterdose dienten als Aschenbecher, Nikotin hatte Tapeten
und Vorhänge gelbbraun gefärbt. In dem Zimmer befanden
sich außer einer mit Zeitungen, Abfällen und
Kleidungsstücken zugemüllten Matratze und einem
klapprigen Stuhl keine Möbel. Auf dem Boden lagen ausgetretene
Zigarettenkippen, die dicke Löcher in den Teppichboden
gebrannt hatten. Eine schmutzige Katze mit verfilztem Fell
hinterließ Fußspuren auf der dicken Staubschicht, die
die Fensterbank und eine schimmelnde Heizungsverkleidung
bedeckte.
»Nett haben
Sie's hier«, sagte Remmer, doch Gollembeck reagierte nicht.
Er trat mit dem Fuß ein bisschen Müll beiseite,
bot den Stuhl
als Sitzplatz an und schmiss sich selbst auf die Matratze, ohne
Bücher und Zeitungen zur Seite zu
räumen.
»Sie wollen was
über die kleinen Spinner wissen, was?«, murmelte er,
während er nach Zigaretten suchte. »Habe ich in der
Zeitung von gelesen. Tot sind sie. Haben sie
verdient.«
»Was heißt
das?«, fragte Remmer.
Gollembeck ließ
sich Zeit mit der Antwort, zündete sich erst einmal
umständlich eine Zigarette an, die er in einer angebrochenen
Schachtel zwischen den Zeitungen und einem schmutzigen Pullover
unter sich gefunden hatte.
»Die Sklaven
sollen dienen«, zischte er mit einem Lächeln und blies
den Rauch der Zigarette in den Raum.
»Können Sie
sich ein bisschen klarer ausdrücken, Herr Gollembeck?«
Remmer blieb ruhig.
»Das haben die
Jungs immer gerufen. Die Sklaven sollen dienen. Die fanden das
witzig, haben aber nichts verstanden. Aber Recht hatten sie
trotzdem.«
»Wir verstehen
auch nicht so ganz.«
»Das wundert
mich nicht. Sie haben sich ihr Gehirn waschen lassen, ohne das
jemals gemerkt zu haben. Jetzt rennt ihr als Marionetten durch die
Gegend und sucht nach Dingen, die ihr nicht verstehen werdet, wenn
ihr sie gefunden habt.«
»Das klingt
interessant.« Remmer ließ sich nicht aus der Ruhe
bringen. »Erklären Sie's mir.«
Gollembeck blies sich
auf, kniff die Augen zusammen und verschränkte die Arme vor
der Brust, während ihm die Kippe im Mundwinkel hing. Was
für ein Clown, dachte Remmer, die all ihre Selbstbeherrschung
aufbringen musste, um nicht über diesen Irren zu
lachen.
»Es gibt ein
paar Gesetze, wissen Sie?«, raunte die Fettfrisur. »Was
man tun und was man lassen soll. Der Mensch hat das Recht, nach
seinem eigenen Gesetz zu leben, und so weiter. Das schließt
das Recht, zu sterben, wann und wie er will, mit
ein.«
»Das ist von
diesem Satan-Spinner«, flüsterte Gröber Remmer zu.
»Diesem Crowley.«
Remmer stand auf und
ging um die Matratze, auf der Gollernbeck saß, herum. Als sie
hinter ihm stand, beugte sie sich vor, um ihm ins Ohr sprechen
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