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Marathon

Marathon

Titel: Marathon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Frangenberg
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Sie zögerte nicht
lange.
    »Helfen Sie mir
da rüber!«
    Der Dicke sah sie
ungläubig an. Sie schob ihm ihren Polizeiausweis unter die
Nase. Zeit zum Lesen ließ sie ihm nicht.
    »Ich
möchte, dass Sie sich hinknien, damit ich auf Ihre Schultern
klettern kann«, sagte sie in dem ihr eigenen Tonfall, der
keine Widerrede duldete. Doch der Mann schien immer noch
skeptisch.          
    »Auf die
Knie!«, brüllte sie. Mittlerweile hatten sie Publikum,
was die Sache nicht leichter machte. Sie sorgte für
Amüsement im Zielbereich. Sie packte den Mann im Nacken und
drückte mit Daumen und Zeigefinger ins Gelenk. Schmerzverzerrt
ging der Mann in die Knie. Blitzschnell setzte sie ihren linken
Fuß auf seine linke Schulter, packte mit beiden Händen
die obere Stange des Gitters und schwang sich über die
Absperrung. Sie fiel tief, konnte sich nur mit Mühe auf den
Beinen halten. Hier zu stürzen hätte mit Sicherheit
für viel Heiterkeit gesorgt. Einige Zuschauer spendeten
Applaus, während der dicke Mann weiter mit offenem Mund am
Boden kniete. Ehe sie sich's versah, stürmten von allen Seiten
Ordner auf sie zu. Sie genoss ein paar Sekunden lang die
Vorstellung, den Wichtigtuern mit gezogener Pistole mal zu zeigen,
wer hier Herrin im Haus ist. Da packte sie der erste unsanft am
Arm. 
    Erst jetzt bemerkte
sie, dass sie den Ausweis, den sie in den letzten Minuten allen
Menschen unaufgefordert gezeigt hatte, nicht mehr in den
Händen hielt. Ein zweiter Ordner packte sie und begann an ihr
zu zerren. Sie entdeckte die kleine Plastikkarte am Boden. Sie lag
jenseits des Zauns neben dem dicken Mann, der sich gerade keuchend
aufrappelte. Er folgte ihrem Blick und erkannte die brillante
Chance zur Revanche. Lässig ließ er seinen Rucksack
über seinen Arm zu Boden gleiten und so Remmers Polizeiausweis
verschwinden. Sie suchte nach ein paar passenden Worten, doch sie
hatte schlechte Karten. Vielleicht hätte sie die Pistole
ziehen sollen? Dafür war es nun, nachdem der erste Ordner
ihren Arm auf den Rücken gebogen hatte, zu spät. Er schob
sie vor sich her, während zwei weitere Männer an ihr
zogen. Sie entschloss sich, die sinnlose Aktion so lange über
sich ergehen zu lassen, bis sie wieder losgelassen würde. Dann
würde sie sich in Ruhe erklären oder doch noch
die Pistole ziehen. Der Mann in ihrem Rücken drückte
ihren Kopf nach vorne, sodass sie in gebückter Haltung an den
staunenden Zuschauern vorbeigeschoben wurde. Sie näherten sich
der ersten Tribüne, auf denen in Kürze die
Ehrengäste Platz nehmen würden, um den Zieleinlauf der
Spitzenläufer zu beklatschen, die sich mittlerweile weit vor
dem Hauptfeld befanden. Als sie wenige Meter vor dem großen,
mit Werbung voll geklebten Tor durch einen schmalen Spalt zwischen
der Absperrung gedrückt wurde, entdeckte sie ihn. Nur einige
kurze Sekunden reichten, um ihn aus dem Augenwinkel eindeutig zu
identifizieren. Obwohl dicke Blutergüsse sein Gesicht
entstellten, gab es keinen Zweifel. In der ersten Reihe der
Zuschauer gleich gegenüber der Ehrentribüne stand Lisa
Randbergs Vater.

49
    Gröber hatte mit
viel Aufwand und viel gutem Zureden den Wagen zurück durch die
Menschenmenge gefahren und sich zum vielleicht
ungewöhnlichsten Auftrag seiner Polizeikarriere aufgemacht.
Wie holt man einen Marathonläufer, der nicht zu den
langsamsten seiner Zunft gehört, von der Strecke, die man
nicht sperren darf? Wie hatte sich Remmer das vorgestellt? Leise
fluchend stand er am Streckenrand.
    »Das ist der
spannendste Ort an der gesamten Strecke«, belehrte ihn
ungefragt ein kleiner Junge neben ihm.
    »Ach
wirklich?«
    »Ja, hier steht
der böse Mann. Der mit dem Hammer, der zuschlägt, wenn
die hier vorbeikommen.«
    Das war also der
berüchtigte Kilometer dreißig, der Tiefpunkt für
Körper und Geist.
    »Wer seine Kraft
nicht eingeteilt hat oder zu schnell gelaufen ist, hat seine
Kohlenhydrate komplett verbraucht.«
    Nun meinte auch noch
der Vater des Jungen gegen das ohrenbetäubende Trommeln einer
Sambagruppe anbrüllen zu müssen.
    Warum sind die
Kölner nur immer so furchtbar kommunikativ?, fragte sich
Gröber. Der offenbar sehr belesene Mann faselte noch etwas von
Laktatwerten und Enzymen. Als er schließlich beim Thema
»Fettstoffwechsel« angekommen war, konnte sich
Gröber eine spitze Bemerkung nicht mehr verkneifen.
    »Gut, wenn man
in unserem Alter noch weiß, was zu tun ist, um fit zu
bleiben«, sagte er, während er dem Mann demonstrativ auf
die fette Wampe

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