Marc Levy
bisschen.«
Er fand, dass er ihr in Anbetracht der Situation schon viel zuviel Vertrauen entgegenbrachte. Bevor er die Wohnung verließ, fragte er sie noch einmal nach ihrem Nachnamen. Sie nannte ihn und dazu das Stockwerk und die Nummer des Zimmers, in dem sie liegen würde: fünfte Etage, Zimmer 505.
Es sei ganz einfach, fügte sie hinzu, nur Fünfen. Er konnte an dem, was ihn erwartete, durchaus nichts Einfaches finden.
Arthur zog die Tür hinter sich zu und ging die Treppe hinunter in die Tiefgarage. Lauren saß schon im Auto, auf dem Rücksitz.
»Ich weiß nicht, wie Sie das anstellen, aber es ist wirklich beeindruckend. Sie haben wohl mit Houdini
zusammengearbeitet!«
»Mit wem?«
»Houdini, einem Zauberkünstler.«
»Sie scheinen sich ja auszukennen.«
»Kommen Sie nach vorn, ich bin kein Chauffeur.«
»Seien Sie nicht so streng, ich habe Ihnen doch gesagt, dass es mir noch an Präzision mangelt, der Rücksitz ist gar nicht so 43
schlecht, ich hätte auch auf der Motorhaube landen können.
Obwohl ich mich wirklich sehr auf das Wageninnere konzentriert habe. Nein wirklich, ich werde immer besser.«
Lauren setzte sich neben ihn. Beide schwiegen, sie schaute aus dem Fenster. Arthur fuhr in die Nacht. Er fragte, wie er sich im Krankenhaus verhalten solle. Sie schlug ihm vor, sich als Cousin aus Mexiko auszugeben, der, nachdem er von dem Unglück erfahren habe, einen Tag und eine Nacht unterwegs gewesen sei, um herzukommen. Am nächsten Morgen würde er nach England fliegen und erst in sechs Monaten wieder zurückkommen, daher müsse man ihm unbedingt, entgegen der Vorschrift und trotz der späten Stunde gestatten, seine geliebte Cousine zu sehen. Er fand nicht, dass er besonders südamerikanisch aussah, und bezweifelte, dass man ihm seine Geschichte glauben würde.
Er sei übertrieben pessimistisch, meinte sie und schlug vor, dass sie in diesem Fall ja bloß am nächsten Tag wiederzukommen brauchten. Er solle sich nur keine Sorgen machen. Was ihm tatsächlich Sorgen machte, war eher ihre blühende Phantasie. Der Saab fuhr auf das
Krankenhausgelände. Sie ließ ihn rechts einbiegen, dann den zweiten Weg links, und bat ihn, hinter einer Silbertanne zu parken. Als der Wagen stand, zeigte sie ihm die Nachtpforte und ermahnte ihn, nicht zu lange zu klingeln, da würden sie ungehalten. »Wer?« fragte er. »Die Krankenschwestern, die oft vom hintersten Ende des Flurs nach vorn kommen müssen und sich schließlich auch nicht zur Tür beamen können. Kommen Sie, wachen Sie auf jetzt...«
»Das würde ich gern tun«, sagte er.
44
5
Arthur stieg aus dem Wagen und drückte zweimal kurz auf die Klingel. Eine kleine Frau mit Hornbrille erschien an der Tür, öffnete sie einen Spaltbreit und fragte, was er wolle. Er spielte seine Rolle so gut er konnte. Die Schwester wies ihn darauf hin, dass es bestimmte Regeln gäbe, die sicherlich nicht zum Spaß aufgestellt worden seien, sondern damit man sie befolgte, und riet ihm, seine Abreise zu verschieben und es am nächsten Tag noch einmal zu versuchen.
Er bat sie inständig, erinnerte sie daran, dass zu jeder Regel auch eine Ausnahme gehörte, er schien untröstlich und schon bereit, aufzugeben, als die Schwester endlich weich wurde, auf die Uhr sah und sagte: »Ich muß meinen Rundgang machen, kommen Sie, aber seien Sie mucksmäuschenstill und fassen Sie ja nichts an. Sie haben eine Viertelstunde.« Zum Zeichen seiner Dankbarkeit nahm er ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. »Sind alle Mexikaner so?« fragte sie mit dem Anflug eines Lächelns, dann ließ sie ihn eintreten. Sie gingen zu den Aufzügen und fuhren in den fünften Stock hinauf.
»Ich bringe Sie zu ihrem Zimmer, mache meine Runde und hole Sie dann wieder ab. Rühren Sie ja nichts an.«
Sie öffnete die Tür von Zimmer 505, der Raum war nur spärlich beleuchtet. Im schwachen Schein des Nachtlichts lag eine Frau und schien tief zu schlafen. Von der Tür aus konnte Arthur ihr Gesicht nicht erkennen. Die Schwester sprach mit gedämpfter Stimme.
»Ich lasse die Tür offen, gehen Sie ruhig zu ihr, sie wird ohnehin nicht aufwachen, aber achten Sie darauf, was Sie in ihrer Gegenwart sagen, bei Komapatienten weiß man nie.
Zumindest sagen das die Ärzte ...«
Arthur betrat auf Zehenspitzen den Raum. Lauren stand am Fenster. »Kommen Sie ruhig näher, ich werde Sie schon nicht beißen.« Er fragte sich immerzu, was er hier eigentlich zu 45
suchen hatte. Am Bett angelangt, schaute er die Frau an. Die
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