Marc Levy
darüber werden Musiker ein paar Klänge und ein wenig Gesang gegen einen Dollar oder eine Handvoll Cents eintauschen.
Doch jetzt, in dieser frühen Morgenstunde, herrscht völlige Stille. Die Auslagen der Geschäfte sind dunkel, ein paar Obdachlose schlafen noch auf den Bänken. Der
Parkhauswächter dämmert in seinem Häuschen vor sich hin.
Vom Gaspedal vorwärts getrieben, verschlingt der Triumph den Asphalt. Die Ampel steht auf Grün, Lauren schaltet in den zweiten Gang zurück, um in die Powell Street einzubiegen, 12
eine der vier Straßen, die den Platz umschließen. In Hochstimmung, das Haar mit einem Seidenschal aus der Stirn gebunden, setzt sie vor der riesigen Fassade von Macy's zur Kurve an. Ein perfekter Bogen, die Reifen quietschen leicht, ein seltsames Geräusch, klick, klick, klick, alles geht sehr schnell, ein Klicken jagt das andere, plötzlich ein Krachen. Die Zeit steht still. Die Räder sprechen nicht mehr auf die Lenkung an, die Verbindung ist unwiderruflich getrennt. Das Auto bricht seitlich aus und rutscht über die noch nasse Straße. Laurens Gesicht verzerrt sich. Ihre Hände klammern sich an das nachgiebige Lenkrad, das widerstandslos in eine verhängnisvolle Leere läuft. Der Triumph rutscht weiter, die Zeit scheint zu zerfließen, sich zu dehnen wie ein langes Gähnen. In Laurens Kopf dreht sich alles, dabei ist es die Umgebung, die sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit um sie dreht. Der Wagen hält sich für einen Kreisel. Hart stoßen die Räder gegen den Bordstein, das Frontteil bäumt sich auf und rammt einen Hydranten, die Motorhaube hebt sich in Richtung Himmel. In einer letzten Anstrengung dreht sich der Wagen um sich selbst und wirft seine Fahrerin ab, die viel zu schwer geworden scheint für diese den Gesetzen der Schwerkraft spottende Pirouette. Laurens Körper wird in die Luft geschleudert, um dann gegen die Fassade des Kaufhauses zu prallen. Die riesige Schaufensterscheibe birst und verteilt sich in einem Teppich glänzender Splitter über den Asphalt. Das gläserne Tuch nimmt die junge Frau auf, sie rollt über den Boden und bleibt reglos liegen, das Haar zerzaust inmitten der Scherben, während der Triumph, auf dem Rücken liegend, seine Fahrt und seine Karriere beendet. Nur eine kleine Dampfwolke noch, die seinen Eingeweiden entweicht, ein letzter Seufzer, und es ist aus mit dem alten Engländer und seinen Kapricen.
Lauren rührt sich nicht. Sie ruht, friedlich. Ihre Züge sind entspannt, ihr Atem geht langsam und regelmäßig. Den Mund 13
wie zu einem Lächeln leicht geöffnet, die Augen geschlossen, so scheint sie zu schlafen. Ihr langes Haar umrahmt das Gesicht, die rechte Hand liegt auf ihrem Bauch.
Der Wächter in seinem Häuschen reißt die Augen auf. Er hat alles gesehen, »wie im Kino«, aber das da, »das war echt«, wird er sagen. Er steht auf, rennt hinaus, überlegt es sich anders und kehrt um. Fieberhaft nimmt er den Hörer ab und wählt den Notruf.
Der Speisesaal des San Francisco Memorial Hospital ist ein großer Raum mit gelb gestrichenen Wänden und einem weiß gefliesten Fußboden. Zwischen einer langen Reihe viereckiger Resopaltische hindurch führt ein Gang zu Automaten mit Getränken und vakuumverpackten Lebensmitteln. Auf einem dieser Tische lag ausgestreckt Doktor Philip Stern und döste vor sich hin, eine Tasse kalten Kaffee in der Hand. Nicht weit von ihm wippte sein Kollege auf einem Stuhl, den Blick ins Leere gerichtet. Aus den Tiefen seiner Tasche ertönte ein Piepen. Doktor Stern öffnete ein Auge und schaute brummend auf die Uhr; in einer Viertelstunde war sein Dienst zu Ende.
»Ich hab' wirklich kein Glück. Frank, ruf mal die Zentrale an.«
Frank angelte nach dem Haustelefon, das über ihm an der Wand hing, hörte die Meldung, hängte auf und drehte sich zu Stern um. »Steh auf, das ist für uns, ein Unfall am Union Square, scheint ziemlich ernst zu sein...« Die beiden dem Rettungsdienst von San Francisco zugeteilten Ärzte standen auf und eilten zum Ausgang der Unfallstation, wo der Notarztwagen bereits mit laufendem Motor und blinkender Festbeleuchtung auf sie wartete. Ein kurzes Aufheulen der Sirene kündigte an, dass Wagen 02 sich auf den Weg machte.
Es war Viertel vor sieben, die Market Street lag verlassen da, der Einsatzwagen fuhr schnell in den jungen Morgen.
»Mist, es wird auch noch schönes Wetter heute.«
»Warum beschwerst du dich?«
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»Weil ich hundemüde bin und deshalb schlafen und folglich nichts davon
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