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Marc Levy

Marc Levy

Titel: Marc Levy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Solange du da bist
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muß es auch nicht.
    Wir wissen längst nicht alles. Sie ist tot, Doktor Stern. Dass Ihnen das missfällt, ist eine andere Sache, aber es ändert nichts daran. Es ist mir gleichgültig, ob ihre Lungen sich bewegen und ihr Herz jetzt wieder von alleine schlägt, das EEG zeigt keinen Ausschlag. Ihr Hirntod ist irreversibel. Wir werden warten, bis der Rest folgt, und dann bringen wir sie in die Leichenhalle.«
    »Aber das können Sie nicht tun, nicht nach all dem, was passiert ist!«
    Fernstein schüttelte unwillig den Kopf und hob die Stimme.
    Er war nicht hier, um sich von Stern eine Lektion erteilen zulassen. Wusste er denn überhaupt, wie viel ein Tag auf der Intensivstation kostete? Glaubte er, dass das Krankenhaus ein Bett an solch ein künstlich am Leben gehaltenes Etwas zu verschwenden hätte, das nicht mehr mit einem Menschen gemein habe als irgendein Stück welkes Gemüse? Er forderte Stern brüsk auf, sich wie ein erwachsener Mensch zu 22
    benehmen. Außerdem weigere er sich, Familien zuzumuten, ganze Wochen am Bett eines reglosen Wesens ohne Verstand zuzubringen, das nur von Maschinen am Leben erhalten werde.
    Er weigere sich, so etwas zu verantworten, nur um das Ego eines Mediziners zu befriedigen.
    Schließlich forderte er Stern auf, duschen zu gehen und schleunigst zu verschwinden. Der junge Arzt rührte sich nicht vom Fleck und versuchte weiter hartnäckig, den Professor zu überzeugen. Das kardiopulmonale System seiner Patientin war, zehn Minuten bevor er ihren Tod festgestellt hatte, bereits zusammengebrochen. Es stimmte, er hatte verbissen weiter-gemacht, da er zum ersten Mal, seit er Arzt war, gespürt hatte, dass diese Frau nicht sterben wollte. Er hatte wahrgenommen, wie sie hinter ihren offen gebliebenen Augen kämpfte und sich dagegen wehrte, fortgerissen zu werden.
    Also hatte er gemeinsam mit ihr gekämpft, über das übliche Maß hinaus - und ein paar Minuten später hatte, entgegen aller Logik, im Widerspruch zu allem, was man ihm beigebracht hatte, wirklich und wahrhaftig ihr Herz wieder zu schlagen begonnen, ihre Lungen hatten Luft eingesogen und ausgeblasen, ein Lebenshauch. »Sie haben recht«, fuhr er fort,
    »wir sind Ärzte, und wir wissen nicht alles. Auch diese Frau ist Ärztin.« Er flehte Fernstein an, ihr eine Chance zu geben. Es hatte Komapatienten gegeben, die nach über sechs Monaten wieder aufgewacht waren, ohne dass irgend jemand begriffen hätte, wie und warum. Noch nie hatte ein Mensch getan, was sie getan hatte, wen kümmerten da die Kosten? »Lassen Sie es nicht zu, sie will nicht, das ist es, was sie uns sagt.«
    Der Professor wartete einen Augenblick, ehe er antwortete:
    »Doktor Stern, Lauren war eine meiner Schülerinnen, sie war kein einfacher Mensch, dafür aber wirklich überaus talentiert, ich habe sie sehr geschätzt und große Erwartungen in ihre berufliche Zukunft gesetzt, ebenso wie in die Ihre. Das Gespräch ist beendet.«
    23
    Stern verließ das Büro, ohne die Tür zu schließen. Frank erwartete ihn auf dem Gang.
    »Was machst du denn hier?«
    »Sag mal, Philip, was ist eigentlich mit dir los? Weißt du, mit wem du da gerade in diesem Ton geredet hast?«
    »Na und?«
    »Der Typ, mit dem du gesprochen hast, ist der Professor dieser jungen Frau, er arbeitet seit fünfzehn Monaten eng mit ihr zusammen, außerdem hat er schon mehr Leben gerettet, als du es in deiner gesamten Laufbahn als Arzt vielleicht je tun wirst. Du musst mal lernen, dich zu beherrschen!«
    »Lass mich in Frieden, Frank, ich habe meine Dosis Moralin für heute schon bekommen.«
    24

3
    Doktor Fernstein schloss die Tür seines Arbeitszimmers, nahm den Telefonhörer ab, zögerte, legte wieder auf, machte ein paar Schritte in Richtung Fenster und griff dann kurz entschlossen wieder nach dem Telefon. Er verlangte den Operationstrakt. Wenige Augenblicke später antwortete eine Stimme am anderen Ende der Leitung.
    »Fernstein am Apparat, halten Sie sich bereit, wir operieren in zehn Minuten, ich lasse Ihnen die Unterlagen hochbringen.«
    Langsam ließ er den Hörer sinken, schüttelte den Kopf und verließ sein Büro. Auf dem Flur stieß er fast mit Professor Williams zusammen.
    »Wie geht's dir?« fragte dieser. »Darf ich dir einen Kaffee spendieren?«
    »Nein, ich kann nicht.«
    »Was hast du vor?«
    »Eine Dummheit, ich bin gerade dabei, eine Dummheit zu begehen. Ich muß los, ich ruf dich an.«
    Fernstein betrat den Operationssaal in einem eng anliegenden grünen Kittel. Eine

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