Marc Levy
seinen Kollegen an, das Elektroschockgerät ein weiteres Mal aufzuladen. Frank versuchte ihn zu beruhigen: »Philip, vergiss es, das bringt nichts mehr.« Aber Stern gab nicht auf; er schrie ihn an, den Defibrillator zu laden. Sein Partner gehorchte. Zum weiß Gott wievielten Male forderte er ihn auf, beiseite zu treten. Noch einmal wölbte sich der Körper, aber das EKG blieb flach.
Philip nahm die Massage wieder auf, der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Die Müdigkeit ließ die Verzweiflung des jungen Arztes angesichts seiner Ohnmacht noch deutlicher werden.
Seinem Kollegen wurde bewusst, dass er wider alle Vernunft handelte. Schon vor einigen Minuten hätte er aufhören und den Zeitpunkt des Todes vermerken müssen; stattdessen fuhr er fort, den Brustkorb der Frau zu massieren.
17
»Gib ihr noch eine Dosis Adrenalin und lade 400 Joule.«
»Philip, es hat keinen Sinn mehr, sie ist tot! Du weißt nicht mehr, was du tust.«
»Halt den Mund und tu, was ich dir sage!«
Der Polizist warf dem Arzt, der neben Lauren auf dem Boden kniete, einen fragenden Blick zu, doch dieser achtete nicht auf ihn. Frank zuckte mit den Schultern, spritzte eine weitere Dosis Adrenalin in den Zugang und lud den Defibrillator. Als 400 Joule erreicht waren, entlud Stern das Gerät ohne die übliche Vorwarnung. Getrieben von der Stärke des Stromstoßes hob sich der Brustkorb hart vom Boden. Die Kurve des EKGs blieb hoffnungslos flach. Der junge Arzt sah nicht einmal hin, er hatte es schon gewusst, bevor er ihr diesen letzten Elektroschock verpasst hatte. Er schlug mit der Faust auf Laurens Brust. »Scheiße, Scheiße!« Frank fasste ihn an den Schultern.
»Hör auf, Philip, du drehst ja völlig durch! Du erklärst sie jetzt für tot, und wir packen ein. Du bist total übermüdet.«
Philip war schweißgebadet, sein Blick verstört. Frank wurde lauter, er nahm den Kopf seines Freundes in beide Hände und befahl ihm, sich zu beruhigen, und als Philip keine Reaktion zeigte, gab er ihm eine Ohrfeige. Der junge Arzt wehrte sich nicht. Auch Frank war mit seinen Kräften am Ende. Er ließ seinen Freund los und richtete sich auf, sein Blick wirkte gleichfalls vollkommen verstört. Verwundert sahen die Polizisten den beiden Ärzten zu. Frank lief ratlos im Kreis.
Philip, der zusammengekauert auf dem Boden kniete, hob langsam den Kopf und sagte leise: »Zeitpunkt des Todes: sieben Uhr zehn.« Und zu dem Polizisten gewandt, der noch immer mit angehaltenem Atem die Infusion hielt, sagte er: »Es ist vorbei, wir können nichts mehr für sie tun.« Er stand auf, nahm seinen Kollegen bei der Schulter und zog ihn zum Notarztwagen. »Komm, wir fahren zurück.«
Die beiden Polizeisanitäter sahen ihnen etwas verwundert 18
nach. »Bisschen durcheinander, die Herren Doktoren!« sagte der eine von ihnen.
»Warst du schon mal dabei, als es einen von uns erwischt hat?« wandte sein Kollege nachdenklich ein. »Nein? Dann kannst du dir auch nicht vorstellen, was sie gerade durchgemacht haben. Komm, hilf mir.«
Der Einsatzwagen des Krankenhauses war bereits um die Straßenecke verschwunden. Die beiden Polizisten hoben Laurens leblosen Körper auf die Tragbahre und breiteten eine Decke über sie. Die wenigen Schaulustigen entfernten sich, das Spektakel war zu Ende.
Seit sie losgefahren waren, hatten die beiden Notärzte kein Wort miteinander gesprochen. Frank brach das Schweigen.
»Was war los mit dir, Philip?«
»Sie ist noch keine Dreißig, sie ist Ärztin und zum Sterben schön.«
»Ja, und genau das hat sie eben gerade getan! Ändert das irgendetwas daran, dass sie hübsch ist und Ärztin? Sie hätte auch hässlich sein und in einem Supermarkt arbeiten können.
Das ist Schicksal, da kannst du nichts machen, ihre Zeit war abgelaufen. Wir fahren jetzt nach Hause, du legst dich hin und versuchst das Ganze zu vergessen.«
Zwei Blocks hinter ihnen erreichte die Polizeiambulanz eine Kreuzung, an der ein Mietwagen gerade noch über eine ziemlich gelbe Ampel fuhr. Empört bremste der Polizist und ließ die Sirene aufheulen, der Fahrer des »Limo Service« hielt an und bat untertänigst um Entschuldigung. Bei der Notbremsung war Laurens Körper von der Trage gerutscht. Die beiden Männer stiegen nach hinten, der Jüngere packte Lauren an den Füßen, der Ältere an den Armen. Sein Gesicht erstarrte, als er die Brust der jungen Frau sah.
»Sie atmet!«
»Was?«
»Sie atmet, sage ich, setz dich ans Steuer und fahr zum 19
Krankenhaus.«
»Unfassbar! Ich
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