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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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und ergriffen jeder die Führzügel der beiden anderen Pferde, die wir mit all unserem Gepäck und unserer Ausrüstung beladen hatten. So ritten wir zum Tor hinaus auf den Fluß zu, als es gerade anfing zu tagen.
    Am Ufer wandten wir uns flußaufwärts in Richtung auf jenen Einschnitt in den Bergen, durch den der Orontes vom Inland kommend zu Tal floß. Schon bald lag die von Hader und Streit gebeutelte Stadt Suvediye hinter uns, und es dauerte nicht lange, da war das auch mit den Ruinen der früheren Suvediyes der Fall. Wir ritten im Orontestal stromaufwärts. Es war ein wunderbarer warmer Morgen, und im Tal herrschte üppige Vegetation: grüne Obsthaine trennten ausgedehnte Felder mit Gerste, die im Frühjahr gesät worden war und jetzt mit goldenen Ähren auf die Ernte wartete. Auch schon zu dieser frühen Stunde waren die Schnitterinnen dabei, das Korn zu schneiden. Zwar konnten wir nur wenige von ihnen erkennen, denn alle waren sie über ihre Sicheln gebeugt, doch wußten wir aufgrund eines vielfältig klickenden Geräusches, daß viele dort bei der Arbeit waren. Da in Armenien alle Feldarbeit von den Frauen verrichtet wird und Gerstenhalme spröde und rauh sind, schneidet man sich leicht die Hände auf; daher haben die Frauen die Finger in hölzernen Schutzhülsen stecken. Und da die Frauen emsig und unablässig bei der Arbeit sind, machen die Finger ein allesbeherrschendes klapperndes Geräusch, das man leicht für prasselndes Feuer im Korn halten konnte.
    Als wir das beackerte Land hinter uns hatten, war das Tal immer noch grün und farbenprächtig und voller Leben. Da waren die riesig sich ausbreitenden morgenländischen Platanen, die hierzulande Chinar-Bäume genannt werden und willkommenen Schatten spenden; die leuchtendgrünen Tigerdisteln; und die reichtragenden, dornenbewehrten, Zizafun genannten Brustbeerbäume mit dem silbrigen Laub und der pflaumenähnlichen Jujube-Frucht, die sowohl in frischem als auch getrocknetem Zustand besonders gut schmeckt. Ganze Ziegenherden kauten auf den Tigerdisteln, und auf den Lehmhütten der Ziegenhirten saß das aus sperrigem Geäst gebaute Storchennest; außerdem gab es ganze Schwärme von Tauben, ein jeder so groß wie alle Tauben in Venedig zusammen; und die Goldadler, die fast unablässig in der Luft kreisen, weil sie schwerfällig und plump und verwundbar sind, wenn sie einmal auf dem Boden landen; dort haben sie es schwer und müssen sich abmühen und lange laufen und mit den Schwungfedern schlagen, ehe sie wieder von der Luft getragen werden.
    Eine über Land reisende Gesellschaft wird im Osten mit dem Farsiwort karwan bezeichnet. Wir drei folgten einer der hauptsächlichsten von Osten nach Westen oder umgekehrt verlaufenden karwan-Routen, so daß in bequemen Abständen, etwa nach jedem sechsten farsakh -also nach jeweils ungefähr fünfzehn Meilen -einer jener Rastplätze lag, die karwansarai genannt werden. Wiewohl wir in aller Gemächlichkeit vorwärtsritten und weder uns noch unsere Pferde sonderlich zur Eile antrieben, konnten wir uns stets darauf verlassen, etwa gegen Sonnenuntergang einen von diesen Rastplätzen am Ufer
    des Orontes zu finden. An den ersten von ihnen erinnere ich mich nicht besonders gut, denn an diesem Abend war ich vor allem mit meinen eigenen Schmerzen und Beschwerden beschäftigt. An diesem ersten Tag hatten wir unsere Pferde mehr zur Eile angetrieben, als wir dies später zu tun pflegten; dabei bildete ich mir ein, höchst behaglich dahinzureiten, und stieg unterwegs mehrere Male ab und wieder auf, ohne zu bemerken, daß mir das Reiten im geringsten etwas ausmachte. Als ich am Abend in der karwansarai endgültig aus dem Sattel stieg, um die Nacht hier zu verbringen, stellte ich fest, daß ich wundgeritten war und litt. Mein Gesäß schmerzte mich, als hätte man mich geprügelt, die Innenseiten meiner Schenkel waren wundgerieben und brannten, und Muskeln und Sehnen der Oberschenkel waren dermaßen gedehnt und schmerzten, daß ich das Gefühl hatte, für alle Zukunft auf Beinen herumlaufen zu müssen, die krumm waren wie Flitzbogen. Freilich, die Schmerzen und das Unbehagen legten sich, und nach ein paar Tagen konnte ich mein Pferd den ganzen Tag im Schritt, im Kanter, im Galopp, ja sogar im Trab - wohl die anstrengendste Gangart -reiten, ohne irgendwelche nachteiligen Wirkungen zu spüren. Das war eine erfreuliche Entwicklung -nur, daß ich jetzt, wo ich nicht mehr ständig mit meinem eigenen Unbehagen beschäftigt war, mehr Augen

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