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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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bekümmerten Schluchzer endete.
    Nachdem wir diese Marter hatten über uns ergehen lassen, wurde mir von den älteren Männern gestattet, zu gehen und mich zu amüsieren, wie ich wollte. Ich ergriff diese Gelegenheit, mich zurückzuziehen, und überließ es meinem Vater und Onkel, sich mit dem Shah über Vor-und Nachteile der verschiedenen See-und Überlandrouten zu unterhalten, die wir von Baghdad aus einschlagen konnten. Ich verließ den Raum, ging einen langen Korridor hinunter, dessen sämtliche Türen und es waren ihrer viele -von hünenhaften, mit Speeren oder shimshir-Säbeln bewaffneten Männern bewacht wurden. Sie alle trugen einen der Helme, die ich schon am Palasttor gesehen hatte, doch einige der Wachen hatten afrikanischschwarze oder arabisch-braune Gesichter, die so gar nicht zu den Goldschöpfen der Helme passen wollten.
    Am Ende des Korridors führte ein unbewachter Bogengang auf den Garten hinaus, in den ich mich begab. Die ebenen Kieswege und üppigen Blumenbeete wurden sanft vom Vollmond erhellt, der einer riesigen Perle gleich vor dem schwarzen Samt des Nachthimmels erglühte. Müßig erging ich mich, bewunderte die mir unbekannten Blüten, die mir aufgrund des perlhellen Lichts, in das sie gebadet waren, womöglich noch exotischer vorkamen, als sie es vielleicht waren. Dann stieß ich auf etwas, das mir ebenso neu wie erstaunlich schien: ein Blumenbeet, das sichtbarlich und offensichtlich ganz aus eigenem etwas tat. Ich blieb stehen, um zuzusehen und über etwas nachzusinnen, das mir wie ein völlig unpflanzenhaftes, bewußtes Verhalten erscheinen wollte. Das ganze Beet bildete einen sehr großen Kreis und war, wie ein runder Kuchen, in zwölf gleiche Stücke aufgeteilt, wobei jedes Segment mit einer anderen Blumenart bepflanzt war. Alle standen sie voll in Blüte, doch bei zehn Arten hatten die Blüten sich geschlossen, wie das viele Blumen zur Nachtzeit tun. In einem Abschnitt freilich schlossen ein paar zartrosa Blumen gerade in diesem Augenblick ihre Blüten, während gleichzeitig in dem danebengelegenen Segment ein paar riesige weiße Blüten sich gerade entfalteten und einen betörenden Duft in die Nachtluft verströmten.
    »Das ist ein gulsa'at«, ließ sich eine Stimme vernehmen, die etwas ähnlich Betörendes hatte. Ich drehte mich um und erblickte die anmutige junge Shahzrad sowie -ein paar Schritte im Hintergrund - ihre betagte Großmutter. Prinzessin Falter fuhr fort: »Gulsa'at bedeutet soviel wie Blumen-Zeitmesser. In Eurem Land habt Ihr Stundengläser, die mit Hilfe von Sand oder Wasser die Zeit messen und angeben, wie spät es ist, nicht wahr?«
    »Ja, Shahzrad Magas Mirza«, sagte ich und war bemüht, sie ihrem königlichen Rang entsprechend mit allen Titeln anzureden.
    »Ihr dürft mich ruhig Falter nennen«, sagte sie mit einem lieblichen Lächeln, das durch ihren hauchdünnen chador hindurch zu erkennen war. »Und dieser Blumen-Zeitmesser gibt uns gleichfalls die Stunde an, ohne freilich jemals umgedreht oder neu gefüllt werden zu müssen. Jede Blumenart in dem Rund öffnet sich ihrer Natur entsprechend zu einer ganz bestimmten Stunde des Tages oder der Nacht und schließt sich zu einer anderen. Man hat sie nun eigens ihrer regelmäßigen Verhaltensweise wegen ausgewählt, hier in der richtigen Abfolge eingepflanzt und -schaut doch' Schweigend verkündet eine jede eine bestimmte Stunde, von Sonnenuntergang bis Sonnenuntergang.«
    Woraufhin ich mich erkühnte zu sagen: »Das ganze ist ebenso
    schön, wie Ihr es seid, Prinzessin Falter.« »Meinem Vater, dem Shah, bereitet es Vergnügen, die Zeit zu messen«, sagte sie. »Das dort drüben ist die Palast-masjid, in der wir beten -zugleich aber ist sie auch ein Kalender. In einer ihrer Mauern befinden sich Öffnungen, und so scheint die Sonne auf ihrer täglichen Rundreise durch ein Loch nach dem anderen herein und verrät, welchen Tag eines welchen Monats wir gerade haben.«
    Nicht sonderlich anders als die Sonne umkreiste diesmal ich das Mädchen, damit sie zwischen mir und dem Mond zu stehen kam und dessen Schein durch ihre duftigen Gewänder hindurchschimmerte und die Umrisse ihres köstlichen Körpers erkennen ließ. Die alte Großmutter erriet offensichtlich meine Absicht und verzog grinsend den Mund, so daß mich ihre Kiefer und Gaumen böse anblinkten.
    »Und noch weiter dahinten«, fuhr die Prinzessin fort, »liegt der anderun, wo all die anderen Frauen und Konkubinen meines Vaters leben. Er hat deren über dreihundert,

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