Marco Polo der Besessene 1
durchquerten,
um die Palastgärten wieder zu erreichen. Noch ein-oder
zweimal versuchte ich, der Prinzessin auf irgendeine Art zu
entlocken, was nun heute abend geschehen werde, doch zeigte
sie sich meiner Neugier gegenüber unzugänglich. Erst als wir
ausstiegen und sie und die Großmutter sich anschickten, sich in
den Weraw-Frauentrakt zu begeben, spielte sie auf unser Stelldichein an. »Bis zum Aufgang des Monds«, sagte sie. »Wieder beim
gulsa'at«.
Ich mußte bis dahin einiges an Qualen durchstehen. Als ich
mein Gemach erreichte, richtete Diener Karim mir aus, mir
werde am Abend wieder die Ehre zuteil, zusammen mit Shah
Zaman und seiner Shahryar Zahd zu speisen. Das war von
ihrer Seite aus zweifellos ein Zeichen besonderer
Wertschätzung -zumal ich noch so jung war und mein Vater
und mein Onkel, die ja immerhin den Rang von Gesandten
hatten, nicht mehr in Baghdad weilten. Gleichwohl gestehe ich,
daß ich mir aus dieser Ehre nicht sonderlich viel machte und
beim Essen nur dahockte und wünschte, es möge bald
vorübergehen. Immerhin war mir einigermaßen unbehaglich
zumute, ausgerechnet mit den Eltern jenes Mädchens
zusammenzusitzen, das mich aufgefordert hatte, später am
Abend zina zu begehen. (Von dem anderen Mädchen, das,
soweit ich wußte, irgendwie an der zina beteiligt sein sollte,
wußte ich nur, daß der Shah ihr Vater war; wer jedoch die
Mutter war, konnte ich nicht einmal erraten.) Außerdem lief mir
buchstäblich das Wasser im Mund zusammen bei der Aussicht
auf das, was mich erwartete -wiewohl ich nicht wußte, was
genau nun eigentlich. Obgleich meine Speicheldrüsen
unentwegt arbeiteten, war es mir kaum möglich, die erlesenen
Gerichte zu genießen -ganz zu schweigen davon, mich dabei
auch noch angeregt zu unterhalten. Zum Glück schloß die
Geschwätzigkeit der Shahryar es aus, daß ich mehr sagen
mußte als gelegentlich: ›Jawohl, Hoheit‹ oder: ›Was Ihr nicht
sagt!‹ und: ›Erzählt!‹ Und das tat sie mit Hingabe! Nichts hätte
sie davon abhalten können; nur -viel Handfestes hat sie wohl
nicht berichtet, denke ich.
»Soso, Ihr habt also heute die Teppichknüpfer besucht«, sagte
sie.
»Jawohl, Hoheit.«
»Ach, wißt Ihr, früher hat es mal einen Zauber-qali gegeben, mit
dem man sich durch die Lüfte tragen lassen konnte.«
»Was Ihr nicht sagt!«
»Ja, man brauchte diesen qali nur zu betreten und ihm
befehlen, einen in einen weit entfernten Teil der Erde zu
bringen. Und, hui, flog er davon, über Berge, Meere und
Wüsten -und brachte den Betreffenden im Handumdrehen
dorthin.«
»Erzählt!«
»Gern. Ich werde Euch die Geschichte eines Prinzen erzählen.
Seine Geliebte, gleichfalls von edlem Geblüt, wurde von einem
riesigen Vogel Rock entführt, und das stürzte ihn in tiefste
Verzweiflung. Deshalb erbat er sich von einem jinni einen
Zauber-qali und...«
Endlich war die Geschichte aus und auch das Essen vorbei;
damit hatte auch mein ungeduldiges Warten ein Ende, und so
eilte ich wie der Prinz im Märchen zu meiner
Prinzessingeliebten. Sie stand beim Blumenrund, das die
Tageszeit anzeigte, und zum ersten Mal war sie allein, wurde
sie nicht von ihrer alten Aufpasserin begleitet. Sie nahm mich
bei der Hand, führte mich die Gartenwege entlang und um den
Palast herum zu einem Flügel, von dem ich bislang noch nicht
einmal gewußt hatte, daß es ihn gab. Die Zugänge zu diesem
Gebäude wurden genauso bewacht wie alle anderen
Palasttore, doch Prinzessin Falter und ich brauchten nur im
Dunkel eines Blütenstrauchs zu warten, bis beide Wa chen den
Kopf wegdrehten. Das taten sie wie auf ein Stichwort hin beide
zugleich, und ich fragte mich, ob Falter sie wohl bestochen
haben mochte. Ungesehen oder zumindest unangerufen
huschten sie und ich hinein, und sie führte mich durch eine
Reihe von Gängen, in denen sich merkwürdigerweise keinerlei
Wachen aufhielten, um etliche Ecken herum und schließlich
durch eine gleichfalls unbewachte Tür.
Wir befanden uns in ihren Gemächern, in denen viele
prachtvolle qali sowie duftige durchsichtige Vorhänge und
Schleier in allen möglichen sorto-Farben hingen oder in köstlich
gewelltem Durcheinander gerafft oder hindrapiert waren freilich stets so, daß die dazwischen ihren sanften Schein verströmenden Flämmchen der Lampen sie nicht erreichen konnten. Der Boden war von einer Wand bis zur anderen mit sorto-farbenen Kissen gepolstert -und zwar so
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