Marco Polo der Besessene 1
nicht. Sie würde nie zulassen, daß sie
gesehen wird. Denn sie ist zwar bedrückend häßlich, besitzt
aber ein empfindsames Herz. Deshalb hält sie sich stets in
ihren Gemächern hier im anderun auf, um nicht Gefahr zu
laufen, jemand zu begegnen, und sei es nur ein Kind oder ein
Eunuch; sie könnten sich zu Tode erschrecken.«
»Mare mia!« murmelte ich. »Wie häßlich ist sie denn wirklich,
Falter? Und ist sie es nur im Gesicht? Oder ist sie verwachsen?
Hat sie einen Buckel? Was denn?«
»Pst! Sie wartet draußen vor der Tür und könnte uns hören.«
Ich senkte die Stimme. »Wie lautet denn der Name dieses...
dieses Mädchens?«
»Prinzessin Shams -und auch das ist ein Jammer, denn das
Wort bedeutet Sonnenlicht. Doch halten wir uns nicht mit dieser
unseligen Häßlichkeit auf. Laßt es genug sein damit, daß ich
Euch sage, diese meine bedauernswerte Schwester hat schon
längst jede Hoffnung aufgegeben, irgendwen zu heiraten oder
auch nur die Aufmerksamkeit eines Liebhabers für kurze Zeit
auf sich zu lenken. Kein Mann könnte sie bei hellem Tageslicht
anschauen oder sie im Dunkeln ertasten und seine Lanze zum
zina gereckt halten.«
»Che braga!« murmelte ich und spürte, wie mich ein leiser
Schauder überlief. Wäre Falter nicht noch immer sichtbar -und
wenn auch nur schemenhaft verlockend -, wer weiß, ob nicht
meine eigene Lanze sich gesenkt hätte.
»Wie dem auch sei, Marco -ich versichere Euch, daß ihre
Weiblichkeit ganz normal ist. Sie sehnt sich ganz normal
danach, gefüllt zu werden und Erfüllung zu finden. Aus diesem
Grund haben sie und ich uns etwas ausgedacht; und da ich
meine Schwester Shams liebe, mache ich dabei mit, diesen
Plan zu verwirklichen. -Wann immer sie aus ihrem Versteck
heraus einen Mann erblickt, der ihr Begehren weckt, lade ich
ihn hierher ein und...«
»Ihr habt dies schon zuvor getan?« entfuhr es mir unwillkürlich.
»Unverständiger Ungläubiger, selbstverständlich haben wir das.
Und zwar schon viele, viele Male. Das ist doch gerade der
Grund dafür, Euch versprechen zu können: Ihr werdet es
genießen. Eben weil schon so viele andere Männer es
genossen haben.«
»Ihr habt gesagt, es sei ein Geburtstagsgeschenk...«
»Verschmäht Ihr ein Geschenk, weil es von jemand kommt, der
großzügig schenkt? Seid still und hört zu! Was wir tun, ist
folgendes: Ihr legt Euch hin, auf den Rücken. Ich lege mich auf
Euch, in Hüfthöhe; Ihr könnt mich die ganze Zeit über sehen.
Und während wir beide uns liebkosen und der Lustbarkeit
hingeben -und dabei alles tun, nur das allerletzte nicht -,
schleicht meine Schwester sich still herein und begnügt sich mit
Eurer unteren Hälfte. Ihr seht Shams nicht und berührt sie nicht
-nur mit Eurem zab, und der wiederum begegnet nichts
Abstoßendem. Und die ganze Zeit über seht und fühlt Ihr nur
mich. Ihr und ich, wir werden uns reizen und erregen wie toll,
bis wir völlig außer uns sind. Und wenn das zina da unten sich
vollzieht und vollendet, werdet Ihr nie merken, daß nicht ich es
bin, mit der es geschieht.«
»Aber das ist grotesk!«
»Selbstverständlich könnt Ihr das Geschenk zurückweisen«,
sagte sie kalt. Trat aber gleichzeitig so nahe an mich heran,
daß ihre Brust mich berührte, und die war nun alles andere als kalt. »Oder aber Ihr schenkt mir und Euch etwas Köstliches und tut gleichzeitig eine gute Tat an einem Geschöpf, dem für immer Dunkel und Unbedeutendheit beschieden sind. Nun... weist Ihr zurück und lehnt ab?« Ihre Hand vergewisserte sich, wie die Antwort ausgefallen war. »Ah, dachte ich mir doch, daß Ihr es nicht tun würdet. Ich wußte, Ihr seid ein gütiger Mensch. Wohlauf dann, Marco - legen wir uns nieder.«
Was wir dann taten. Ich für mein Teil legte mich, wie angewiesen, auf den Rücken, und Falter ringelte sich dergestalt über meine Taille, daß ich meine untere Hälfte nicht sehen konnte. Dann begannen wir mit dem Vorspiel des musicare oder Musizierens. Flaumleicht strich sie mit den Fingerkuppen über mein Gesicht, fuhr mir durchs Haar und über die Brust, und ich tat das gleiche bei ihr, und jedesmal, wenn wir einander berührten und wo immer wir einander auch berührten, spürten wir jene Art von knisternder Spannung, die man erleben kann, wenn man einer Katze gegen den Strich heftig übers Fell fährt. Nur, daß es in der Art, wie sie mich -oder ich sie, wie ich bald erfuhr -liebkoste, kein ›gegen
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