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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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das, wenn Ihr müßt, aber ihr abschwören oder sie
    einfach nicht beachten, das solltet Ihr nie. Genau das ist es,
    was ich Euch begreiflich zu machen versuche. Wenn ein Mann
    schon einen Fehler haben muß, dann sollte es zumindest ein
     
    leidenschaftlicher sein wie die unersättliche Neugier, die Besessenheit, neues zu erfahren. Ein Jammer, für etwas Armseligeres verdammt zu werden.«
    »Ich hoffe, nicht verdammt zu werden, Mirza Esther«, erklärte ich fromm-ergeben, »und ich bin sicher, Mirza Mordecai ist der Verdammnis auch nicht anheimgefallen. Schließlich könnte er die Chance auch aus Tugendhaftigkeit haben verstreichen lassen -worin immer sie auch bestanden haben mag. Und da Ihr es nicht wißt, braucht Ihr auch nicht darum zu weinen...«
    »Ich weine nicht. Ich bin nicht auf dieses Thema zu sprechen
    gekommen, um heiße Tränen darüber zu vergießen.« Woraufhin ich mich fragte, aus welchem Grunde es ihr dann so wichtig gewesen war, es zur Sprache zu bringen. Und als antwortete sie mir auf meine stumme Frage, fuhr sie fort:
    »Ich wollte, daß Ihr Euch darüber klar werdet. Es kann sein, daß, wenn es ans Sterben geht, Ihr dann frei seid von allen anderen drängenden Bedürfnissen, daß Ihr Eurer Sinne und Eurer Fähigkeiten beraubt seid -aber immer noch die Leidenschaft der Neugier kennt. Das ist etwas, wovon selbst Tuchhändler nicht frei sind, vielleicht sogar Schreiberlinge und derlei Kreaturen nicht. Ein Reisender kennt sie gewiß. Und diese Leidenschaft ist es, die Euch in Euren letzten Augenblicken wie Mordecai dazu bringt, nicht irgend etwas zu bedauern, was Ihr zu Lebzeiten getan habt, sondern die Dinge, die Ihr einfach nicht über Euch gebracht habt zu tun.«
    »Mirza Esther«, verwahrte ich mich. »Der Mensch kann nicht ständig in der Angst leben, irgend etwas zu verpassen. So erwarte ich zum Beispiel nie, Papst zu werden oder Shah von Persien; trotzdem hoffe ich, daß dieser Mangel sich nicht wie Meltau über mein Leben legt. Auch nicht dann, wenn ich auf dem Sterbelager liege.«
    »Unerreichbares meine ich nicht. Mordecai beklagte im Augenblick seines Todes etwas, das im Bereich seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten lag, etwas, das greifbar nahe war und das er dann hat einfach vorüberziehen lassen. Stellt Euch vor, Ihr klagtet über die Anblicke und Köstlichkeiten und Erfahrungen, die hätten Euer sein können, die Ihr aber habt vorübergehen lassen -vielleicht aber auch nur um eine einzige kleine solche Erfahrung -und verginget vor Sehnsucht danach, wenn es zu spät ist, wenn diese bestimmte Sache für immer unerreichbar geworden ist.«
    Folgsam bemühte ich mich, mir das vorzustellen. Und so jung ich auch war, und in wie entrückter Ferne diese Aussicht für mich auch lag - es überlief mich ein leiser Schauder.
    »Stellt Euch vor, es ginge für Euch ans Sterben«, fuhr sie ungerührt fort, »ohne daß Ihr alles, was diese Welt zu bieten hat, gekostet hättet. Das Gute, das Schlechte und auch das Belanglose. Und dann in diesem letzten Augenblick zu wissen, daß es kein anderer war als Ihr selbst, der Euch darum gebracht, und zwar durch Eure eigene übergroße Vorsicht oder durch eine unbesonnene Wahl, oder durch Euer Versagen, dem Weg zu folgen, den Eure Neugier Euch wies. Sagt mir, junger Mann, könnte es auf der anderen Seite des Todes Schmerzlicheres geben als das7 Ist das nicht sogar noch schmerzlicher als die ewige Verdammnis?«
    Es kostete mich eine Weile, den Schauder abzuschütteln, der mich gepackt hatte, doch dann sagte ich so fröhlich, wie es ging: »Nun, vielleicht gelingt es mir mit Hilfe der Sechsunddreißig, von denen Ihr gesprochen habt, zu vermeiden, mir im Leben etwas zu versagen und im Tode der ewigen Verdammnis zu entgehen.«
    »Aleichem sholem«, sagte sie. Doch da sie in diesem Augenblick mit ihrem Pantoffel gerade wieder auf einen Skorpion einhieb, wußte ich nicht, ob sie mir Frieden wünschte oder ihm.
    Sie ging weiter den Garten hinunter, drehte Steine um, und ich schlenderte müßig zu den Stallungen hinüber, um nachzusehen, ob irgend jemand von unserer Reisegruppe schon wieder von seinem Stadtgang zurückgekehrt sei. Auf einen traf das in der Tat zu, doch war er nicht allein, und sein Anblick ließ mich innehalten und Luft holen.
    Da stand unser Sklave Nasenloch zusammen mit einem Fremden, einer der hinreißenden jungen Kashaner Männer. Vielleicht hatte meine Unterhaltung mit der Dienerin Sitare mich vorübergehend gegen jeden Ekel gefeit, denn weder

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