Marco Polo der Besessene 1
bringen.«
Nasenloch räusperte sich und sagte: »Verzeiht, Mirza Nicolö, selbstverständlich würde es mir im Traum nicht einfallen, einen Herrn von mir zu belauschen, aber einem Teil der Unterhaltung
habe ich folgen können. Turki ist eine der mir bekannten
Sprachen, und die Mongolen sprechen eine Abart der
Turkisprache. Darf ich fragen - als diese Mongolen die Banditen
erwähnten - haben sie da wirklich von Banditen gesprochen?«
»Nein, sie benutzten einen Namen. Einen Stammesnamen
offenbar. Karauna. Aber ich halte das für...«
»Ach je, genau das glaubte ich auch gehört zu haben!«
wehklagte Nasenloch. »Und genau das hatte ich auch
befürchtet zu hören. Möge Allah uns beschützen! Die
Karauna!«
An dieser Stelle möchte ich einflechten, daß fast alle Sprachen,
die ich von der Levante an ostwärts zu hören bekam, und
ungeachtet der Tatsache, wie verschieden sie in anderer
Hinsicht sein mögen, ein Wort oder ein Wortelement enthielten,
das in allen diesen Sprachen gleich klingt und das da kam
lautet. Es wurde unterschiedlich ausgesprochen: kara, khara,
gara oder k'ra und in manchen Sprachen sogar kala; dieses
Wort hat sehr verschiedene Bedeutungen. Kam kann schwarz
bedeuten oder kalt, Eisen oder das Böse oder sogar den Tod kara konnte aber auch alle diese Dinge zugleich bedeuten. Es
kann in bewunderndem oder verächtlichem oder sogar in
schmähendem Tonfall ausgesprochen werden, so wie zum
Beispiel die Mongolen ihre einstige Hauptstadt mit Freuden
Karakoren nannten, was soviel heißt wie Schwarze Palisaden,
oder wie sie eine bestimmte große und giftige Spinnenart
karakurt nennen, was soviel heißt wie böses oder
todbringendes Insekt.
»Karauna!« wiederholte Nasenloch und schien an dem Wort
fast zu ersticken. »Die Schwarzen, die Kaltherzigen, die
Eisenmänner, die Erzbösen und Todbringer! Das ist nicht der
Name eines Stammes, Mirza Nicolö. Er wurde ihnen vielmehr
als Fluch angehängt. Die Karauna sind die Ausgestoßenen
anderer Stämme -der Turki und Kipchak im Norden, der
Baluchi im Süden. Und diese Völker sind die geborenen
Banditen, also stellt Euch vor, wie furchtgebietend jemand sein
muß, der von einem solchen Stamm ausgestoßen wird.
Manche Karauna sind sogar ehemalige Mongolen; Ihr könnt
Euch also vorstellen, wie abscheulich sie sein müssen, von den Mongolen ausgestoßen zu sein. Bei den Karauna handelt es sich um seelenlose Männer, die grausamsten und blutrünstigsten und gefürchtetsten aller Räuber in diesen Landen. Ach, meine Herren und Meister, wir befinden uns in schrecklicher Gefahr.«
»Dann laßt uns das Feuer ausmachen!« sagte Onkel Mafio. »Offen gestanden sind wir mit sträflicher Unbekümrnertheit durch diese Wüste gezogen. Ich werde Schwerter aus dem Gepäck herausholen und schlage vor, daß wir von heute an abwechselnd Wache halten.«
Ich erbot mich freiwillig, die erste Wache zu übernehmen, und bat Nasenloch, mir zu sagen, woran ich die Karauna erkennen könne, wenn sie kämen.
Etwas sarkastisch sagte er: »Vielleicht habt Ihr mitbekommen, daß die Mongolen ihre Umhänge an der rechten Seite befestigen. Die Turki, Baluchi und dergleichen raffen sie links.« Dann löste sich sein Sarkasmus in Angst auf, und er rief: »Ach, Mirza Marco, wenn Ihr eine Chance habt, sie zu sehen, ehe sie zuschlagen, werdet Ihr keinerlei Zweifel mehr haben. Ach je, bismillah, kheh zahmat dadam...«, um dann aus Leibeskräften eine ganz erstaunlich große Anzahl von tiefen salam-Verneigungen zu vollführen, ehe er sich in sein Zelt verkroch.
Als alle meine Gefährten sich schlafen gelegt hatten, schritt ich mit dem shimshtr-Schwert in der Hand zwei-oder dreimal den ganzen Umkreis der Oase ab und spähte, so weit ich konnte, hinaus in die uns umgebende, undurchdringlich schwarze Nacht. Da man in dieser Dunkelheit ohnehin nichts sehen und ich schließlich nicht auf allen Wegen, die zu unserem Lager führten, Wache stehen konnte, beschloß ich, in meinem eigenen, neben dem von Aziz gelegenen Zelt weiterzuwachen. Da es in dieser Nacht besonders kalt war, streckte ich mich bäuchlings unter den Decken aus und ließ nur den Kopf zum Eingang hinausschauen. Entweder konnte Aziz keinen Schlaf finden, oder ich hatte ihn durch die Geräusche, die ich gemacht hatte, geweckt, denn auch er steckte den Kopf zum Zelt hinaus
und flüsterte: »Ich habe Angst, Marco, und außerdem ist mir
kalt. Darf ich neben Euch schlafen?«
»Ja, es ist
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