Marco Polo der Besessene 1
hinaus dorthin, woher sie
gekommen waren.
Rücksichtsvoll verweilten die Mongolen lange genug, um erst
uns in Augenschein zu nehmen und festzustellen, daß wir
offensichtlich unverletzt waren, ehe sie die eigenen Pferde
einfingen, mit einem einzigen Sprung aufsaßen und hinter den
Karauna herhetzten. All dies spielte sich mit einer solchen
Geschwindigkeit und in einem solchen Wirbel ab -und zwar
von dem Augenblick, da ich niedergeschlagen war, bis zu dem
Augenblick, da sich plötzlich Stille über die Oase legte -, daß es
genausogut der Wüstensturm hätte sein können, der über uns
hergefallen und hinweggezogen war.
»Gesu!« Dieser Stoßseufzer kam von meinem Vater.
»Wo ist der Knabe Aziz?« fragte Onkel Mafio mich.
»In Sicherheit«, sagte ich laut, um gehört zu werden, denn in
meinem Kopf dröhnte es immer noch. »Er liegt in meinem Zelt.«
Ich deutete in die Richtung, wo der Staub nach dem
Verschwinden der Reiter immer noch in der Luft hing.
Sobald er ein paar Kleidungsstücke übergeworfen hatte, lief
mein Onkel eben dorthin. Mein Vater sah, wie ich mir den Kopf
rieb, und trat herzu, um ihn abzutasten. Er sagte, ich hätte eine
dicke Beule, und hieß Nasenloch, etwas Wasser zum Kochen
aufzusetzen.
Dann kam mein Onkel zurückgelaufen und rief noch aus dem
Dunkel heraus: »Aziz ist nicht da! Seine Kleider wohl, aber er
nicht.«
Mich der Obhut Nasenlochs überlassend, der mir eine
Kompresse auf die Beule legte, gingen mein Vater und mein
Onkel auf die Suche nach dem Jungen. Sie fanden ihn nicht.
Das erging auch Nasenloch und mir so, als wir uns ihnen
anschlossen und die ganze Oase methodisch absuchten. Als
wir uns dann zusammenhockten, um zu besprechen, was zu
tun sei, versuchten wir, das Geschehene noch einmal an uns
vorüberziehen zu lassen.
»Er hat das Zelt bestimmt verlassen. Selbst unbekleidet und in
dieser Kälte.«
»Bestimmt. Er hat sich denken müssen, daß sie früher oder
später alles nach Beute durchsuchen würden.«
»Folglich muß er sich ein sichereres Versteck gesucht haben.«
»Mir scheint wahrscheinlicher, daß er versucht hat, sich
näherzuschleichen, um zu sehen, ob er uns helfen könnte.«
»Jedenfalls muß er draußen im Freien gewesen sein, als die
Karauna plötzlich flohen.«
»Die müssen ihn gesehen, ihn gepackt und mit sich genommen
haben.«
»Sie werden ihn bei erster Gelegenheit umbringen.« Es war
Onkel Mafio, der das sagte -und zwar mit einer Stimme, die
Schmerz und Trauer verriet. »Sie werden ihn auf irgendeine
bestialische Weise umbringen, denn sie müssen außer sich
sein vor Wut in der Annahme, wir hätten den Hinterhalt vorher
abgesprochen.«
»Vielleicht haben sie keine Gelegenheit dazu. Die Mongolen
sind ihnen dicht auf den Fersen.«
»Nicht umbringen werden die Karauna den Jungen, sondern als
Geisel behalten - als Schild, um die Mongolen abzuwehren.«
»Und wenn die Mongolen sich abhalten lassen, was noch
keinesfalls sicher ist, überleg doch mal, was die Karauna dem
kleinen Jungen antun werden!«
»Weinen wir nicht, solange niemand ein Leids geschehen ist«, sagte mein Vater. »Aber wie die Sache auch ausgehen mag, wir müssen dabeisein. Nasenloch, du bleibst. Mafio, Marco, aufsitzen!«
Wir ließen die Kamele unsere Stecken spüren. Da wir sie nie zuvor wirklich zur Eile angetrieben hatten, waren die Tiere dermaßen erschrocken, daß es ihnen gar nicht erst in den Sinn kam, sich zu beschweren oder störrisch zu werden, sondern in gestrecktem Galopp losschössen und diesen auch beibehielten. Das Rucken meines Kopfes schien mit wahnsinnig machender Geschwindigkeit auf die Nackenwirbel meines Rückgrats zu hämmern, aber ich sagte nichts.
Auf Sandboden sind Kamele schneller als Pferde, und so holten wir die Mongolen lange vor Morgengrauen ein. Irgendwann hätten wir sie ohnehin wiedergesehen, denn sie waren bereits gemächlich auf dem Ritt zurück zur Oase begriffen. Der Staubnebel war inzwischen als Sandnieseln auf die Erde herniedergegangen, als wir sie in einiger Entfernung im Sternenlicht auf uns zukommen sahen. Zw ei von ihnen gingen zu Fuß und führten die Pferde, den dritten stützten sie im Sattel, wo er in sich zusammengesunken hin und her wankte. Offensichtlich war er schwer verwundet. Die beiden riefen uns im Näherkommen irgend etwas zu und zeigten mit den Armen, um anzudeuten, woher sie kamen.
»Ein Wunder! Der Junge lebt!« sagte
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