Marco Polo der Besessene 1
sie durch die Lagune und am Lido vorüber hinaus aufs Meer. Dieser Umstand sorgt dafür, dass die Stadt stets sauber ist und gut riecht, beschert den Fischern aber bisweilen auch unliebsame Fänge. Es gibt nicht einen unter ihnen, der nicht schon viele Male den bläulich und violett schimmernden Leichnam eines neugeborenen Kindes in seinen Netzen gefunden oder an seinem Haken gehabt hätte. Zugegeben, Venedig ist eine der drei einwohnerreichsten Städte Europas. Gleichwohl setzt sich nur die Hälfte seiner Bevölkerung aus Frauen zusammen, von denen wiederum nur die Hälfte im gebärfähigen Alter steht; infolgedessen scheint die große Anzahl der unliebsamen Fänge der Fischer darauf hinzuweisen, dass es eigentlich kaum ein »braves« Mädchen in Venedig geben kann.
»Schließlich gibt es immer noch Danieles Schwester Malgarita«, sagte Ubaldo. Er zählte nicht die braven Mädchen auf, sondern tat genau das Gegenteil. Er nannte jene weiblichen Personen unter unseren Bekannten, die angetan sein könnten, mich des Krieges der Priester zu entwöhnen und einem männlicheren Zeitvertreib zuzuführen. »Die macht es mit jedem, der ihr einen bagatin gibt.«
»Malgarita ist ein fettes Schwein«, protestierte ich.
»Wer bildest du dir ein zu sein, dass du die Nase über
Schweine rümpfen könntest?« erklärte Ubaldo. »Schweine
haben einen Schutzpatron. San Tonio mochte Schweine sehr
gern.«
»Aber Malgarita hätte er bestimmt nicht gemocht«, erklärte
Doris mit Entschiedenheit.
»Außerdem ist da noch Danieles Mutter«, fuhr Ubaldo fort. »Die
macht's und verlangt nicht mal einen bagatin dafür.«
Doris und ich stießen angewiderte Laute aus. Dann sagte sie:
»Da unten winkt uns jemand zu.«
Wir drei vertrieben uns die Nachmittagszeit auf einem
Hausdach. Die Unterschicht in Venedig hat eine
Lieblingsbeschäftigung. Da sämtliche einfachen Häuser
Venedigs einstöckig sind und durch die Bank ein flaches Dach
aufweisen, lieben die Leute es, sich dort oben zu ergehen oder
auch nur herumzusitzen und den Anblick zu genießen. Von dort
oben können sie Straßen wie Kanäle unten überschauen,
hinüberblicken bis zur Lagune mit ihren Schiffen und auch die
eleganteren Bauwerke Venedigs betrachten, die sich über die
Masse der anderen erheben : die Kuppeln und Türme der
Kirchen, die Glockentürme und die mit Steinmetzarbeiten
geschmückten Fassaden der Palazzi.
»Er winkt mir«, sagte ich. »Das ist unser Ruderer, der unser
batehvon irgendwo heimrudert. Warum fahre ich eigentlich nicht
gleich mit?«
Es bestand für mich keine Notwendigkeit, nach Hause
zurückzukehren, ehe nicht das abendliche coprifuoco-Geläut
einsetzte, wo alle rechtschaffenen Bürger, die sich nicht ins
Haus zurückziehen, gehalten sind, eine brennende Laterne mit
sich zu führen, um zu bekunden, dass sie nichts Böses im
Schilde führen. Doch um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß
ich einräumen, dass ich ein wenig befürchtete, Ubaldo würde
darauf bestehen, dass ich mich auf der Stelle mit irgendeinem
Hafenweib oder -mädchen paarte. Es war nicht eigentlich das
Abenteuer als solches, das ich fürchtete, selbst nicht mit einer
Schlampe wie Danieles Mutter; wovor ich Angst hatte, war,
mich lächerlich zu machen, weil ich nicht wußte, was ich
eigentlich mit ihr anstellen sollte. Von Zeit zu Zeit bemühte ich mich, Reue dafür zu zeigen, dass ich mich dem armen alten Michiel gegenüber so unverschämt aufgeführt hatte; deshalb nahm ich ihm an diesem Tag die beiden Ruder ab und ruderte uns nach Hause, während er es sich unter dem Sonnensegel des Bootes bequem machte. Auf der Fahrt unterhielten wir uns, und er erzählte mir, er wolle sich eine Zwiebel kochen, sobald wir daheim wären.
»Was?« fragte ich, unsicher, ihn auch richtig verstanden zu haben. Der schwarze Sklave erklärte, er leide unter der Berufskrankheit der Ruderer. Da seine Aufgabe es erfordere, die meiste Zeit mit dem Hinterteil auf der harten und feuchten Ducht des Bootes zu sitzen, habe er häufig unter blutenden Hämorrhoiden zu leiden. Unser Familien-medego, sagte er, habe ihm ein einfaches Heilmittel für diese Krankheit verschrieben. »Koche eine Zwiebel, bis sie weich ist, steck sie dir dort tief rein und schlinge dir ein Lendentuch zwischen die Beine, damit sie nicht rausrutscht. Und wahrhaftig, das hilft. Wenn Ihr jemals Hämorrhoiden habt, Messer Marco, probiert das mal aus!«
Ich sagte, das wolle ich gern tun, und
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