Marco Polo der Besessene 1
Iqbal uns überaus herzlich willkommen im »hochgelegenen Pai-Mir, dem Weg zu den Gipfeln, auf dem Dach der Welt«, um uns dann vertraulich zu verstehen zu geben, daß seine ungewöhnlichen Worte keine Übertreibung seien. Hier, sagte er, befänden wir uns genau einen farsakh hoch über dem Meeresspiegel und lägen damit zweieinhalb Meilen über Seehäfen wie Venedig, Acre und Basra. Wirt Iqbal erklärte nicht, wieso er die Höhe des Ortes so genau angeben könne. Doch in der Annahme, daß er die Wahrheit sprach -und weil die Berggipfel rings um uns her sichtbarlich noch einmal so hoch in die Höhe ragten -, wollte ich seiner Behauptung, daß wir nunmehr das Dach der Welt erreicht hätten, nicht widersprechen.
AUF DEM DACH DER WELT
Wir nahmen für uns - Nasenloch eingeschlossen -einen Raum im Hauptgebäude der Herberge, mieteten für unsere Pferde einen Pferch draußen und stellten uns darauf ein, solange in Buzai Gumbad zu bleiben, bis der Winter dem Frühling wich. Die karwansarai war nicht gerade ein elegantes Unternehmen, und da sämtliches Material und die meisten Vorräte von weit her jenseits der Berge hergeschafft werden mußten, knöpfte Iqbal seinen Gästen für ihren Unterhalt eine Menge Geld ab. Trotz allem war es hier jedoch behaglicher als nötig, denn schließlich gab es gar nichts anderes, und weder Iqbal noch seine Vorfahren hatten sich jemals die Mühe machen müssen, mehr als bloße Unterkünfte und einfaches Essen zur Verfügung zu stellen.
Das Hauptgebäude war zweistöckig gebaut -was ich bisher noch bei keiner karwansarai erlebt hatte -, wobei das Erdgeschoß Stallungen für Iqbals eigene Rinder und Schafe enthielt, die für ihn sowohl Ersparnis als auch Speisekammer bedeuteten. Der Oberstock war für die Menschen da und wurde von einem offenen Gang umgeben, der vor jeder Schlafkammer ein Kotloch enthielt, so daß die Ausscheidungen der Gäste zum Wohle einer mageren Hühnerschar hinunterfielen auf den Hof. Da die Wohnräume über den Stallungen gelegen waren, kamen wir in den Genuß der von den Tieren heraufsteigenden Wärme; der damit verbundene Gestank war weniger erfreulich, aber immer noch nicht so schlimm wie unser eigener und der anderer Gäste, die seit langer Zeit weder sich noch ihre Kleider hatten waschen können. Der Wirt verschwendete das aus getrocknetem Mist bestehende Brennmaterial ungern für etwas so Überflüssiges wie einen hammam oder heißes Wasser für die Wäsche.
Da ziehe er es vor, wie er sagte und auch wir Gäste es taten, unsere Schlafstätten nachts warm zu halten. Iqbals sämtliche Lagerstätten waren nach der überall im Osten kang genannten Art eingerichtet, stellten also eine hohle Plattform aus übereinandergelegten Steinen dar, auf die Bretter mit vielen Lagen Kamelhaardecken gelegt worden waren. Ehe man sich schlafen legte, hob man die Bretter hoch, streute etwas getrockneten Mist in den kang und verteilte diesen auf den wenigen verbliebenen Glutstücken. Ein Neuling machte dabei anfangs Fehler und fror danach entweder die ganze Nacht hindurch oder setzte die Bretter unter ihm in Brand. Doch mit einiger Übung lernte er, das Feuer so anzulegen, daß es die ganze Nacht hindurch schwelte und eine gleichmäßige Wärme verströmte, aber auch nicht soviel Rauch entwickelte, daß alle im Raum Befindlichen erstickten. Außerdem wies ein jeder Gastraum noch eine Lampe auf, die Iqbal eigenhändig hergestellt und wie ich sie nirgendwo sonst gesehen hatte. Um eine solche Lampe zu fertigen, nahm er eine Kamelblase, blies sie kugelförmig auf, bemalte sie dann mit einem Lack, der dafür sorgte, daß sie die Form behielt und nicht wieder schrumpfte, und überzog sie außerdem mit einem vielfarbenen Muster. Schnitt man ein Loch hinein, konnte man sie über eine Kerze oder eine Öllampe stülpen, was ein hübsches, sanft schimmerndes Licht ergab.
Die täglichen Mahlzeiten in der Herberge zeichneten sich durch muslimische Eintönigkeit aus: Hammel und Reis, Reis und Hammel, gekochte Bohnen, große Scheiben eines dünn ausgerollten, nur durch viel Kauen zu zerkleinerndes, nan genannten Brotes und als Getränk einen grünlichen cha, der unerklärlicherweise immer leicht nach Fisch schmeckte. Allerdings war Wirt Iqbal immer bemüht, wann immer er einen Vorwand hatte, etwas Abwechslung in diese Monotonie zu bringen: an jedem muslimischen Sabbath-Freitag sowie an den verschiedenen muslimischen Festen, die es diesen Winter gab. Ich habe keine Ahnung, was an diesen Tagen
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