Marco Polo der Besessene 2
und sie uns heil zurückgegeben wird -, könnte es sein, daß das Urteil nicht ganz so hart wie der Tod ausfällt.«
»Ich spucke auf Eure Gnade und Nachsicht!« fauchte sie. »Tote kann man nicht umbringen! Ich bin bei dem Brand umgekommen!«
Wieder weiteten sich Alis Augen und Nasenloch, und er wich einen Schritt vor ihr zurück. Fast hätte ich desgleichen getan, so furchtbar aufrichtig klang, was sie sagte. Aber ich ließ mich nicht einschüchtern, sondern packte sie neuerlich, schüttelte sie und herrschte sie drohend an: »Sprich!«
Immer noch verstockt, sagte sie nur: »Vor einem Sklaven rede ich nicht.«
Ich hätte ihr weh tun können, bis sie sprach, doch hätte das die ganze Nacht dauern können. Deshalb wandte ich mich an Ali und sagte: »Vielleicht geht es schneller, wenn du ein Stück weggehst, und Schnelligkeit könnte von lebenswichtiger Bedeutung sein.« Entweder, er begriff, was gemeint war, oder es war ihm ohnehin lieb, sich von jemand zu entfernen, der von den Toten auferstanden war. Jedenfalls nickte er zustimmend, und so sagte ich: »Warte in meiner Wohnung. Vielleicht sorgst du dafür, daß ich dieselben Räume wiederbekomme wie vorher und daß man sich auch darin aufhalten kann. Sobald ich etwas erfahren habe, das uns weiterhilft, komme ich zu dir. Du kannst dich auf mich verlassen.«
Nachdem er den Hügel hinunter außer Hörweite war, wandte ich mich abermals an Buyantu: »Antworte jetzt. Ist die Frau Mar-Janah in Sicherheit? Lebt sie noch?«
»Ich habe keine Ahnung, und es ist mir auch gleichgültig. Uns Toten sind sie alle gleichgültig. Die Lebenden wie die Toten.«
»Ich habe keine Zeit, mir deine Philosophie anzuhören. Sag mir einfach, was geschehen ist.«
Achselzuckend und mit finsterem Gesicht sagte sie: »An jenem Tag…« Ich brauchte nicht nachzufragen, welchen Tag sie meinte. »An jenem Tag fing ich an, Euch zu hassen, und habe Euch seither gehaßt und hasse Euch immer noch. Doch an jenem Tag bin ich auch gestorben. Leichen erkalten, und ich vermute, brennender Haß auch. Jedenfalls habe ich jetzt nichts dagegen, Euch wissen zu lassen, wie sehr ich Euch hasse und wie ich diesen Haß zum Ausdruck gebracht habe. Jetzt ist ohnehin alles gleichgültig.«
Sie schwieg, und ich drang weiter in sie: »Ich weiß, daß du mich für den Wali Achmad ausspioniert hast. Fang damit an.«
»An jenem Tag… Ihr schicktet mich hin, um eine Audienz beim Khakhan für Euch nachzusuchen. Bei meiner Rückkehr fand ich Euch und meine -Euch und Biliktu zusammen im Bett. Ich war außer mir, und ich ließ Euch etwas erkennen, wie sehr ich außer mir war. Ihr überließet es mir und Biliktu, das Holzkohlenfeuer unter einem bestimmten Topf am Brennen zu halten. Ihr habt uns nicht gesagt, daß es gefährlich sei, und ich war völlig arglos. Da ich immer noch aufs höchste erregt war und Euch schaden wollte, ließ ich Biliktu über das Feuer wachen und ging zu dem Minister Achmad, der mich seit langem dafür bezahlte, ihn über Euer Tun auf dem laufenden zu halten.«
Obwohl ich es gewußt hatte, muß ich einen Laut des Abscheus von mir gegeben haben, denn sie kreischte mich an: »Schnauft nicht überheblich! Tut nicht so, als ob das etwas wäre, das unter Eurer Würde und mit Euren hehren Grundsätzen nicht zu vereinbaren ist. Auch Ihr habt Euch eines Spitzels bedient. Jenes Sklaven da.« Mit einer Handbewegung wies sie in die Richtung, in der Ali verschwunden war. »Und Ihr habt ihn dafür bezahlt, indem Ihr den Kuppler für ihn machtet! Ihr habt ihn mit der Sklavin Mar-Janah bezahlt.«
»Laß das. Fahre fort.«
Sie hielt inne, um ihre Gedanken zu ordnen. »Ich ging zu dem Minister Achmad, denn ich hatte vieles herausgefunden, das ihn interessieren mußte. Am Morgen hatte ich Euch belauscht, wie Ihr und der Sklave über den Minister Pao sprächet, einen Yi, der sich als Han ausgab. Auch hattet Ihr an diesem Vormittag dem Sklaven versprochen, er dürfe die Frau Mar-Janah heiraten. All dies berichtete ich dem Minister Achmad. Und sagte ihm, Ihr wäret gerade dabei, den Minister Pao bei Khan Kubilai anzuschwärzen. Der Minister Achmad schrieb sofort eine Nachricht aus und schickte sie durch einen Boten an den Minister Pao.«
»Aha«, murmelte ich. »Woraufhin Pao gerade noch rechtzeitig das Weite suchen konnte.«
»Dann schickte der Minister Achmad einen anderen Diener aus, Euch zu ihm zu bringen, sobald Ihr beim Khakhan herauskämet. Er hieß mich solange warten, was ich tat. Und als Ihr kamt,
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