Marco Polo der Besessene 2
verbarg ich mich in seinen Privatgemächern.«
»Und zwar nicht allein«, unterbrach ich sie. »Da war an diesem Tag noch jemand. Wer war sie?«
»Sie?« wiederholte Buyantu echogleich, als wäre sie verwirrt. Dann bedachte sie mich aus ihren verengten Augen mit einem abschätzenden Blick.
»Die große Frau. Ich weiß, daß sie da war, denn ums Haar wäre sie in den Raum gekommen, in dem der Araber und ich miteinander redeten.«
»Oh… ja… die große Frau. Die besonders große Frau. Wir haben nicht miteinander gesprochen. Ich hielt diese Person nur für jemand, an dem der Minister Achmad einen Narren gefressen hatte. Vielleicht seid Ihr Euch darüber im klaren, daß er Gelüste ganz besonderer Art hat. Wenn die Frau den Namen einer Frau hatte, gefragt habe ich sie nicht danach; deshalb kenne ich ihn auch nicht. Wir saßen nur beieinander und sahen einander an, bis Ihr ginget. Interessiert es Euch sehr, um wert es sich bei dieser großen Frau handelt?«
»Vielleicht nicht. Es war doch ganz gewiß nicht jeder in Khanbalik in dieses Komplott verwickelt. Erzähle weiter, Buyantu.«
»Kaum wart Ihr fort, kam der Minister Achmad wieder zu mir und führte mich ans Fenster. Er zeigte mir Euch, wie Ihr den kara-Hügel hinaufginget, hier herauf, bis zum Echopavillon. Und er trug mir auf, hinter Euch herzulaufen und ungesehen die Worte zu flüstern, die Ihr eben wieder gehört habt. Es hat mir ein inniges Vergnügen bereitet, heimlich Drohungen gegen Euch auszustoßen, obwohl ich nicht wußte, warum Ihr bedroht wurdet; denn ich haßte Euch. Ich haßte Euch!«
Fast wäre sie an den rasch hervorgestoßenen Worten erstickt. Sie schluckte, dann war sie wieder bei Stimme. »Ich war gerade auf dem Rückweg in Eure Wohnung begriffen, als alles in die Luft flog, vor meinen Augen und mit dem schrecklichen Knall, den Flammen und dem Rauch. Biliktu starb dabei -und ich bin auch gestorben; alles ist tot an mir, nur mein Körper nicht. Sie war lange meine Schwester gewesen, meine Zwillingsschwester, und wir hatten einander von jeher geliebt. Vielleicht wäre mein Zorn auch groß gewesen, wenn ich nur meine Zwillingsschwester verloren hätte. Aber Ihr wart es, die uns zu mehr als nur Schwestern gemacht habt. Ihr habt uns zu einem Liebespaar gemacht. Und dann habt Ihr die umgebracht, die ich liebte!
Ihr!«.
Das letzte Wort stieß sie mit einer solchen Heftigkeit hervor, daß ihr Speichel sprühte. Ich war so klug, nichts darauf zu sagen, und wieder dauerte es eine kleine Weile, ehe sie fortfahren konnte.
»Mit Freuden hätte ich Euch damals umgebracht. Doch es geschah zuviel auf einmal, und es waren auch zu viele Leute da. Außerdem reistet Ihr plötzlich fort, und ich stand ganz allein da. Verlassener kann ein Mensch überhaupt nicht sein. Der einzige Mensch auf der Welt, den ich liebte, war tot, und alle Welt sonst hielt auch mich für tot. Ich hatte nichts zu tun, niemand, der nach mir verlangte, keinen Ort, wo ich sein sollte. Ich kam mir toter als tot vor - tue es jetzt noch.«
Wieder verfiel sie in düsteres Schweigen, deshalb half ich ihr auf die Sprünge. »Aber der Araber fand etwas für dich zu tun.«
»Er hatte ja gewußt, daß ich nicht mit in dem Raum bei Biliktu gewesen war. Er war der einzige, der das wußte. Kein Mensch sonst ahnte, daß ich noch am Leben sei. Er sagte mir, eine solche unsichtbare Frau könne er vielleicht einmal gut gebrauchen, doch dauerte es lange, bis es dazu kam. Gleichwohl bezahlte er mir Lohn, und ich lebte allein in einem Raum unten in der Stadt, und da hockte ich und starrte die Wände an.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Wie lange ist das so gegangen?«
»Sehr lange«, erklärte ich mitfühlend. »Eine sehr lange Zeit.«
»Dann, eines Tages, schickte er nach mir. Er sagte, Ihr wäret auf dem Rückweg hierher, und wir müßten uns eine passende Überraschung ausdenken, Euch hier damit willkommen zu heißen. Er schrieb zwei Papiere aus, sagte mir, ich solle mich dicht verschleiern -um noch unsichtbarer zu sein -, und dann lieferte ich die Papiere ab. Eines übergab ich dem Sklaven, damit dieser es Euch aushändigte. Wenn Ihr es gesehen habt, wißt Ihr, daß es keine Unterschrift trug. Das andere unterfertigte er, allerdings nicht mit seinem eigenen yin, und dieses brachte ich etwas später dem Hauptmann von der Palastwache. Es enthielt den Befehl, die Frau Mar-Janah festzunehmen und sie dem Liebkoser zu übergeben.«
»Amoredèi!« entfuhr es mir entsetzt. »Aber… aber…
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