Marco Polo der Besessene 2
Galopp zur Hauptstadt zurückzukehren, bloß um dort verzweifelt um mich zu blicken und nicht zu wissen, was tun. Es war viel logischer anzunehmen, daß der Flüsterer Ausschau nach mir hielt und mich besser sah, wenn ich auffällig im Gefolge des Khakhan in Khanbalik einritt; um so schneller konnte er mir seine nächste Botschaft oder die Lösegeldforderung für Mar-Janah oder irgendeine weitere Drohung zukommen lassen. Am meisten Hoffnung bestand für uns darin, daß er oder seine verschleie rte Botin Kontakt mit uns aufnahm und wir über ihn oder sie mit Mar-Janah.
Indem ich weiterhin im Gefolge des Khakhan blieb, konnte ich auch am besten auf Hui-sheng aufpassen, was freilich keinerlei Einfluß auf meinen Entschluß hatte, nicht vorauszueilen. Huisheng reiste immer noch in Begleitung ihrer mongolischen Herrinnen und hatte keine Ahnung von meinem Interesse an ihr oder von den Abmachungen, die ich für ihre Zukunft getroffen hatte. Ich erwies ihr zwar gelegentlich eine kleine Aufmerksamkeit, einfach damit sie mich nicht vergaß -half ihr beim Ein- oder Aussteigen in den Wagen der Konkubinen, wenn wir bei einer karwansarai oder vor dem Landhaus irgendeines Provinzbeamten haltmachten, oder holte ihr eine Kelle frischen Wassers aus dem Hofbrunnen, oder überreichte ihr mit einer galanten Verbeugung ein Sträußchen von den Blumen, welche die Dörfler uns zugeworfen hatten, Kleinigkeiten dieser Art. Sie sollte, das war mein Wunsch, gut von mir denken, doch ich hatte auch jetzt nicht mehr Grund als zuvor, ihr mit meiner Werbung zuzusetzen.
Ich war zuvor zu dem Schluß gekommen, einen angemessenen Zeitraum verstreichen zu lassen; jetzt blieb mir gar nichts anderes übrig, als zu warten. Offenbar war mein Flüstererfeind stets darüber im Bilde, wo ich war und was ich tat. Mein Feind durfte unmöglich erfahren, daß ich besonders an Hui-sheng hing. Wenn er die Heimtücke besaß, über eine verehrte und geschätzte Freundin wie Mar-Janah mich zu treffen -wozu mochte er fähig sein, wenn er meinte, jemand stehe mir wirklich nahe. Es fiel mir schwer, nicht dauernd zu ihr hinzusehen, und es war nicht leicht, Abstand davon zu nehmen, ihr kleine Dienste zu erweisen, nur um zu erleben, wie sie mich mit ihrem Grübchenlächeln belohnte. Da hätte ich es schon leichter gehabt, wenn Ali und ich vorausgeritten wären, wie er es gewollt hatte. Doch um seinet- und um Mar-Janahs willen blieb ich bei der karwan und bemühte mich, mich nicht ständig in Hui-shengs Nähe aufzuhalten.
WIEDER KHANBALIK
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Abgesehen von dem Trupp Reiter, der uns immer einen Tag voraus ritt, herrschte ein ständiges Kommen und Gehen von anderen Reitern, die im Galopp aus Khanbalik herbeigesprengt kamen oder nach dorthin ritten. Wie es hieß, um den Khakhan über die Entwicklungen in der Hauptstadt auf dem laufenden zu halten. Ali Babar fragte eifrig jeden eintreffenden Kurier aus, doch keiner konnte ihm irgend etwas über seine verschwundene Frau sagen. In Wahrheit dienten die Reiter nur dazu, dem Zug der Kaiserinwitwe der Sung auf der Spur zu bleiben, der sich gleichfalls der Stadt näherte. Das setzte Kubilai instand, die Geschwindigkeit unserer Prozession so einzurichten, daß wir die breite Hauptallee von Khanbalik am selben Tag -ja, zur selben Stunde -hinunterritten, da die ihre von Süden her in sie einritt.
Die gesamte Bevölkerung der Stadt, ja, wahrscheinlich der gesamten Provinz für viele li im Umkreis, drängte sich zu beiden Seiten der Prachtallee, verstopfte alle Seitenstraßen, hing aus den Fenstern und stand auf den Dächern, um den triumphierenden Khakhan mit Hoch-und Beifallsrufen zu begrüßen, Banner und Fähnchen zu schwenken, am Himmel Feuerbäume und Glitzerblumen aufblühen und ununterbrochen und ohrenbetäubend Fanfarenstöße, Gongs und Trommeln und Glöckchen erschallen zu lassen. In all diesen Freudenbekundungen fuhren die Leute auch noch fort, als die nur wenig weniger prächtige Prozession der Sung-Kaiserin die Allee herunterkam und respektvoll haltmachte, um die unsere zu erwarten. Die Menschenmenge dämpfte ihr Geschrei ein wenig, als der Khakhan ritterlich von seinem Thronwagen herunterstieg und vortrat, um der alten Kaiserin die Hand zu reichen. Behutsam half er ihr aus ihrem Wagen auf die Straße herunter und schloß sie in brüderlichem Willkommen in die Arme, woraufhin das Volk erst richtig anfing, in ein ohrenbetäubendes Getöse aus Lärm und Musik auszubrechen.
Nachdem Khan und Kaiserin gemeinsam in
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