Marco Polo der Besessene 2
Anerkennungszahlung bekommt Ihr zurück -falls Ihr wollt.«
Mit diesen Worten drehte er sich um, trippelte auf die eisenbeschlagene Tür zu und hielt sie mir auf. Ich folgte ihm in die eigentliche Stätte seines Wirkens hinein und -ich wünschte, ich hätte es nicht getan.
Doch in meinem verzweifelten Bemühen und in der Eile, Mar-Janah zu retten, hatte ich gewisse Dinge einfach nicht bedacht. Allein die Tatsache, mit ihr eine wunderschöne Frau als Opfer in seiner Gewalt zu haben, mußte den Liebkoser zu den infernalischsten Quälereien inspiriert haben und sie so grausam in die Länge zu ziehen wie nur irgend möglich. Aber mehr noch als das. In der Urteilsbegründung wird gestanden haben, daß Mar-Janah die Frau eines gewissen Ali Babar war, und es dürfte dem Meister Ping nicht schwergefallen sein herauszufinden, daß es sich bei Ali um jenen einstigen Sklaven handelte, der zum äußersten Mißfallen des Meisters Ping bis in eben diese Kammern vorgedrungen war. (Von Ekel gepackt hatte dieser gesagt: » Wer… ist… denn das?«) Und gewiß war es Ping nicht entfallen, daß dieser Sklave mein Sklave und ich ein womöglich noch unangenehmerer Besucher gewesen war. (Ohne zu ahnen, daß er farsi sprach, hatte ich ihn einen »aufgeblasenen Unhold« genannt, »der sich an den Qualen anderer Menschen weidet«.) Er hatte also allen Grund, einem unglücklichen Opfer, das die Frau des niedrigen Sklaven Marco Polos war, der ihn einst so frech beleidigt hatte, seine ganze besondere Aufmerksamkeit angedeihen zu lassen. Und jetzt stand dieser selbe Marco Polo vor ihm, wand sich unterwürfig und bettelte um ein Leben. Der Liebkoser war nicht nur bereit, sondern von satanischem Eifer und Stolz erfüllt, mir vorzuführen, wozu er imstande war -und mir unter die Nase zu reiben, daß dies zum nicht geringen Teil eine Folge meiner eigenen draufgängerischen Unverschämtheit war.
In der fackelerhellten, bluterwärmten, blutbespritzten und widerlich riechenden steinernen eigentlichen Folterkammer standen Meister Ping und ich nebeneinander und besahen den Hauptgegenstand in diesem Raum, der rot schimmernd und tropfend und leicht dampfend dahing. Oder vielmehr, ich sah es an, während er von der Seite her mich ansah, seine hämische Freude daran hatte und darauf wartete, was ich jetzt wohl sagen würde. Erst schwieg ich eine Weile. Ich hätte auch kein Wort hervorbringen können, denn ich schluckte immer wieder, entschlossen, ihm nicht die Genugtuung zu gewähren, mich sich erbrechen zu sehen. Und so -vermutlich, um mich noch zu reizen - begann er pedantisch, mir genau auseinanderzusetzen, was ich da vor mir sah:
»Ich vermute, Ihr erkennt, daß die Liebkosung sich jetzt schon über eine ganze Zeit erstreckt. Schaut Euch den Korb an und seht, daß vergleichsweise nur noch wenige Zettel nicht herausgenommen und entfaltet worden sind. Es sind nur noch siebenundachtzig Zettel darin, denn ich bin bis heute zu dem neunhundertunddreizehnten gekommen. Ob Ihr mir glaubt oder nicht, aber allein dieser eine Zettel hat mich heute den ganzen Nachmittag gekostet und dafür gesorgt, daß ich bis spät in den Abend hinein gearbeitet habe. Was darauf zurückzuführen ist, daß es sich -als ich ihn auseinanderfaltete -um die dritte Anweisung bezüglich des ›roten Kleinods‹ der zu Behandelnden handelte, welches in der ganzen Bescherung zwischen den Schenkelstümpfen etwas schwer zu finden und auch bereits zweimal an der Reihe gewesen war. Infolgedessen bedurfte es meines ganzen Könnens und größter Konzentration von meiner Seite, um…«
Endlich war ich in der Lage, ihn zu unterbrechen. Mit belegter Stimme sagte ich: »Ihr habt mir gesagt, dies hier sei Mar-Janah, und sie sei noch am Leben. Das hier ist nicht sie, und es kann unmöglich noch am Leben sein.«
»Doch, sie ist es, sie ist es. Und bei entsprechender Behandlung wäre sie sogar imstande, auch noch weiterhin am Leben zu bleiben -falls jemand die Unfreundlichkeit besäße, das zu wollen. Tretet näher, Herr Marco, und seht selbst.«
Ich tat es. Und wirklich, es war am Leben, und es war Mar-Janah. Am oberen Ende, dort, wo der Kopf gesessen haben mußte, hing von dem, was ehemals das Haar gewesen war, noch eine einzelne verklebte Locke herunter, deren Haar noch nicht mit der Wurzel herausgerissen worden war: und dieses Haar war lang -unverkennbar Frauenhaar -und es war immer noch deutlich erkennbar schwarz mit einem rötlichen Schimmer darin und lockig - Mar-Janahs Haar. Außerdem gab
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