Marco Polo der Besessene 2
ich keine Wünsche mehr und nichts, worauf ich mich freuen könnte. Wenn mir nur dieser Wunsch gewährt werden würde, wäre ich schon zufrieden.«
»Ich werde dafür sorgen - sofern alles gutgeht. Du tätest gut daran, hier sitzen zu bleiben und Allah zu bitten, daß alles gutgeht.«
Mit diesen Worten löste ich mich von meinem eigenen Stuhl und kniete mich wieder auf den Boden, um mein Durcheinander von Erinnerungsstücken fortzuräumen und einiges davon an mich zu nehmen. Während ich die verschiedenen Dinge zusammenschob -Arpads kamàl, das Päckchen zhi-pai-K.arten und so weiter -, konnte ich mich des merkwürdigen Eindrucks nicht erwehren, daß irgend etwas davon fehlte. Ich setzte mich zurück und überlegte, was es sein könne. Was fehlte, war nicht das yin des Ministers Pao, denn das hatte ich selbst an mich genommen. Dennoch fehlte etwas, das noch da gewesen war, als ich alles ausgeschüttet hatte. Plötzlich ging mir auf, was es war.
»Ali«, sagte ich. »Hast du in meiner Abwesenheit vielleicht etwas von diesen Dingen an dich genommen?«
»Nein, nichts«, sagte er wie jemand, der das Durcheinander auf dem Boden bis jetzt überhaupt nicht wahrgenommen hatte, was er in seinem Zustand wohl auch wirklich nicht getan hatte.
Ich fragte die beiden Mongolenmädchen, doch sie leugneten, irgend etwas angefaßt zu haben. Daraufhin ging ich und holte Hui-sheng, die sich in der Schlafkammer aufhielt und gerade dabei war, ihre Habe in Schränken und Kommoden unterzubringen. Das entlockte mir ein Lächeln, verriet es doch, daß sie vorhatte zu bleiben, und zwar für länger. Ich nahm sie bei der Hand, zog sie in den Hauptraum, zeigte auf die Dinge auf dem Boden und machte dann fragende Gesten. Offensichtlich begriff sie, denn sie antwortete mit einem Schütteln ihres hübschen Köpfchens.
Dann konnte nur Mafìo es an sich genommen haben. Was fehlte, war das kleine Tonfläschchen, bei dessen Anblick er ausgerufen hatte: »Ist das nicht eine Erinnerung an den Scharlatan Hakim Mimdad?«
Das war es. Es handelte sich um den Liebestrank, den der hakim mir gegeben hatte, jenes hochwirksame Elixier, das der längst verstorbene Dichter Majnun und seine Dichterin Laila benutzt hatten, um ihre Lust an der Liebe zu steigern. Mafìo wußte genau, was es war, und er wußte auch, daß es unberechenbar und gefährlich war, hatte er doch gehört, wie ich Mimdad nach meiner grauenhaften Erfahrung damals mit den heftigsten Vorwürfen überschüttet hatte; und war Zeuge gewesen, wie ich mir nur widerstrebend von dem Hakim ein zweites Fläschchen zum Mitnehmen hatte aufdrängen lassen. Jetzt hatte er mir den Liebestrank gestohlen. Was mochte er damit vorhaben?
Blitzartig fielen mir noch ein paar Worte ein, die er heute morgen gesagt hatte: »Notfalls bin ich bereit zu beweisen, wie ich liebe…« Und als ich höhnisch gesagt hatte : »Geh doch hin und mach deinen Araber besoffen vor Liebe!« hatte er erklärt: »Das kann ich!«
Dio le varda! lch mußte hinterherlaufen, ihn finden und davon abhalten! Ich hatte weiß Gott reichlich Grund, enttäuscht und entsetzt zu sein über Mafio Polo und keinen bagatìn darum zu geben, was aus ihm wurde, und trotzdem… er war Blut von meinem Blut. Wenn er sich jetzt aus Selbstmitleid oder um sich selbst mit Ruhm zu bedecken, opferte, dann wäre das unnötig, denn ich hatte bereits eine Fallgrube für den abscheulichen Araber Achmad graben helfen. So rappelte ich mich wieder hoch - woraufhin Hui-sheng mich abermals sanft erschrocken ansah und nicht wußte, was los war. Doch kam ich nicht weiter als bis zur Tür, denn dort stand Meister Chao und strahlte vor Glück.
»Es ist vollbracht«, sagte er. »Und damit auch Eure Rache im selben Augenblick, da Ihr dies Kubilai zeigt.«
Er sah an mir vorbei und warf einen Blick auf die anderen im Raum; dann zupfte er mich am Ärmel und zog mich hinaus auf den Gang, damit uns niemand hörte. Dort entnahm er irgendwelchen Falten seines Gewandes ein zusammengefaltetes und leicht beschmutztes Stück Papier, das in der Tat so aussah, als hätte es eine lange Reise von Khanba-lik nach Yun-nan und wieder zurück hinter sich. Ich faltete es auseinander und hatte das vor Augen, was für mich -wie alle Han-Unterlagen -so aussah wie ein geharkter Garten, über den viele Hühner dahingelaufen sind.
»Was steht drin?«
»Alles Nötige. Laßt uns keine Zeit damit vergeuden, es jetzt erst zu dolmetschen. Ich habe mich beeilt, und Ihr müßt Euch jetzt auch eilen. Der
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