Marco Polo der Besessene 2
Hui-sheng und meine beiden neuen Dienerinnen mich fassungslos und zweifelnd anstarrten.
Eine der Dienerinnen zeigte mit einer Handbewegung auf die Tür und sagte zaudernd: »Herr Marco, ein Besucher, der Euch sprechen möchte.«
Ich war im selben Augenblick wieder nüchtern, denn es war Ali Babar. Es war mir ihm gegenüber peinlich, daß er mich dabei ertappte, wie ich gerade eine Art Freudentanz aufführte, als wäre ich völlig unbeschwert, wohingegen er sein Liebstes verloren hatte und trauerte. Doch es hätte schlimmer sein können; noch schuldbewußter wäre ich mir vorgekommen, wenn er hereingekommen wäre, wie ich gerade Hui-sheng umarmte. So machte ich ein paar Schritte auf ihn zu, umfaßte seine Hand und zog ihn herein, wobei ich Worte der Begrüßung, des Mitleids und der Freundschaft murmelte. Er sah furchtbar aus. Seine Augen waren gerötet vom Weinen, seine große Nase schien womöglich noch mehr als sonst herunterzuhängen, und er rang die Hände, was ihn jedoch nicht daran hinderte, zu zittern wie Espenlaub.
»Marco«, sagte er mit bebender Stimme. »Ich bin gerade beim Hofbestatter gewesen, wollte ich doch ein letztes Mal einen Blick auf meine geliebte Mar-Janah werfen. Aber er sagt, er habe unter den bei ihm eingelieferten Toten niemand dieses Namens.«
Das hätte ich voraussehen und ihn daran hindern müssen hinzugehen, und ihm den Schrecken ersparen sollen, als ihm dies eröffnet wurde. Ich wußte, daß Hingerichtete nicht zum Hofbestatter geschickt wurden, sondern daß der Liebkoser sie ohne Segen und ohne Feierlichkeit einfach verschwinden ließ. Dennoch sagte ich nichts von alledem, sondern nur begütigend: »Das liegt zweifellos an dem Durcheinander, daß die Rückkehr des Hofes von Xan-du bewirkt hat.«
»Durcheinander«, murmelte Ali. »Das kann man wohl sagen, daß ich durcheinander bin.«
»Überlaß nur alles mir, alter Freund. Ich bringe das schon wieder in Ordnung. Gerade in diesem Augenblick war ich dabei, das zu tun. Ich bin unterwegs, um verschiedene Dinge in die Wege zu leiten, die mit dieser Angelegenheit zu tun haben.«
»Aber warte, Marco. Du hast gesagt, du würdest mir -nun ja, das Warum und Wieso ihres Todes erklären…«
»Das werde ich auch tun, Ali. Sobald ich von dieser Sache zurück bin. Es eilt, aber lange werde ich nicht brauchen. Bleib du nur hier, ruh dich aus und laß dich von meinen Damen verwöhnen.« Zu den Mädchen sagte ich: »Bereitet ihm ein heißes Bad. Reibt ihn mit Balsam ein. Holt ihm Essen und Trinken. Jede Art von Getränken, und gebt ihm soviel davon, wie er will.« Ich war schon im Begriff hinauszugehen, doch dann fiel mir noch etwas ein, und ich befahl mit größter Strenge: »Und keinen Menschen in diese Wohnung einlassen, bis ich wieder zurück bin.«
Fast im Laufschritt eilte ich dann zum Kriegsminister, dem Künstler Meister Chao, der zu meinem Glück zu so früher Stunde gerade weder mit Krieg noch mit Malen beschäftigt war. Ich begann das Gespräch damit, daß ich sagte, ich hätte von dem Unfall gehört, der ihm seine Gattin entrissen habe, und das tue mir leid.
»Warum?« sagte er träge. »Habt Ihr zu ihrem Stall von Beschälern gehört?«
»Nein. Ich halte mich nur an die guten Sitten.«
»Dann muß ich mich bei Euch bedanken. Sie hat das nie getan. Aber ich denke, Ihr beehrt mich nicht bloß aus diesem Grunde mit Eurem Besuch.«
»Nein«, sagte ich noch einmal. »Und wenn Ihr es lieber habt, daß ich kein Blatt vor den Mund nehme -mir ergeht das ebenso. Seid Ihr Euch darüber im klaren, daß die Dame Chao nicht durch einen Unfall zu Tode kam? Sondern daß dieser vom Oberminister Achmad herbeigeführt wurde?«
»Dann muß ich ihm danken. Das ist mehr, als er bisher je für mich getan hat. Habt Ihr eine Ahnung, warum er plötzlich so interessiert daran war, Ordnung in das Durcheinander meines kleinen Haushalts zu bringen?«
»Darum ging es ihm überhaupt nicht, Meister Chao. Er hat das ausschließlich in seinem eigenen Interesse getan.« Und dann fuhr ich fort, ihm zu erklären, daß Achmad das Amts-yin der Dame Chao benutzt hatte, um Mar-Janah um die Ecke zu bringen und um das, was vorherging und hinterher geschah, zu vertuschen. Ich erwähnte Mafìo Polo zwar nicht, schloß jedoch mit den Worten : »Achmad hat auch damit gedroht, gewisse Bilder von Euch an die Öffentlichkeit zu bringen. Ich dachte, Ihr könntet vielleicht nicht besonders glücklich darüber sein.«
»Das wäre in der Tat höchst peinlich«, murmelte er
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