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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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es«, sagte er einigermaßen erstaunt. »Deshalb braucht man nicht viel Platz, um große Ernten einzubringen. Ihr habt doch mein Wohnhaus in der Stadt gesehen, Kuan Polo, also wißt Ihr, daß ich ein wohlhabender Mann bin. Mein ganzer Reichtum stammt von diesem Besitz hier.«
    Das konnte ich nicht leugnen, und so bat ich höflich, ob er mir seine Anbaumethoden erläutern könne, denn diese müßten geradezu meisterlich sein. Da erzählte er mir als erstes, daß er in dem lächerlich kleinen Garten Rettiche ziehe.
    Das beeindruckte mich so wenig, daß ich murmelte: »Ihr habt das nicht zu den Dingen gezählt, die das Leben angenehmer gestalten.«
    »Nein, nein, denn sie sind ja auch nicht zum Verzehr bestimmt und auch nicht für den Verkauf auf dem Markt. Die Rettiche sind nur für die Trauben da. Hebt man diese nämlich in einer Kiste mit Rettichen auf, bleiben die Trauben notfalls monatelang frisch und süß.«
    Dann fuhr er fort, das Blattwerk der Rettiche verfüttere er an die Schweine in ihren Koben. Ihre Ställe stünden auf einem Hügel oberhalb des Maulbeerbaumhains, und zwischen ihnen verliefen gekachelte Kanäle, vermittels deren der Schweinemist hügelabwärts geschwemmt werde, um die Bäume zu düngen. Das grüne Laub im Sommer diene den Seidenwürmern zur Nahrung, und im Herbst, wenn die Blätter vergilbten, dienten sie als Schweinefutter. Die Ausscheidungen der Seidenwürmer wiederum seien das Futter der zu-jin-Fische, und die Exkremente der Fische reicherten den Boden des Teichs an; die Sickerstoffe würden ab und zu herausgeholt, um den Rebstöcken als Dünger zu dienen. So hänge -kan-kàn! Ecco! Siehe da! -in dieser kleinen Welt alles, was lebte, vom anderen ab, blühe und gedeihe dieserhalb prächtig und mache ihn wohlhabend.
    »Genial!« rief ich aus, und diesmal war es wirklich ernst gemeint.
    Die in Manzi lebenden Han waren aber auch auf andere, weniger überwältigende Art klug, und zwar durchaus nicht nur die Angehörigen der Oberklasse sondern noch der geringste von ihnen. Ein Han-Bauer tat, wenn er die Tageszeit nach dem Sonnenstand abschätzte, selbstverständlich nichts, wozu nicht auch ein Bauer in Venetien fähig gewesen wäre. Doch im Hausinneren konnte die Frau dieses selben Bauern in ihrer Hütte genau sagen, wann es Zeit wurde, ihrem Mann das Abendessen zu bereiten - dazu brauchte sie nur einen Blick auf die Familienkatze zu werfen und abzuschätzen, wie weit deren Pupillen sich im schwindenden Licht geweitet hatten. Die einfachen Leute waren fleißig und sparsam und unglaublich ausdauernd. Kein Bauer wäre zum Beispiel jemals auf die Idee gekommen, eine Heugabel zu kaufen. Er suchte sich einen Baumast, der in drei biegsamen Schößlingen auslief, band diese Schößlinge parallel nebeneinander fest und wartete ein paar Jahre, bis aus den Schößlingen kräftige Zweige geworden waren, sägte den Ast ab und hatte damit ein Arbeitsgerät, das nicht nur ihm, sondern vermutlich auch noch seinen Enkelsöhnen gute Dienste tat.
    Ich war tief beeindruckt von der Strebsamkeit und dem Durchhalte-vermögen eines Bauernjungen, den ich kennenlernte. Die Mehrheit der Landbevölkerung war des Lesens und Schreibens unkundig und wollte es auch bleiben, doch dieser Junge hatte auf irgendeine Weise Lesen gelernt und war jetzt entschlossen, seine Armut zu überwinden. Aus diesem Grund hatte er sich Bücher geliehen, um sie zu studieren. Da er jedoch seine Arbeit auf dem Hof nicht vernachlässigen durfte -denn er war die einzige Stütze seiner betagten Eltern -, band er einem seiner Ochsen ein Buch zwischen die Hörner und las, während er beim Pflügen das Tier führte. Und da man sich nachts keine Lampe leisten konnte, die mit Fett brannte, las er beim Schimmer von Glühwürmchen, die er tagsüber in den frischgezogenen Ackerfurchen aufgelesen hatte.
    Ich will damit nicht sagen, jeder Han in Manzi sei die Verkörperung von Tugend und Talenten und nicht minder schätzensvoller Eigenschaften. Ich bin hie r auch einigen herausragenden Beispielen von Einfältigkeit, ja, von Wahnwitz begegnet. Eines Abends kamen wir in ein Dorf, in dem gerade irgendein religiöses Fest im Gange war. Es wurde musiziert und gesungen und getanzt, überall brannten Freudenfeuer, und in regelmäßigen Abständen wurde die Nacht vom Geknatter und Blinken der Feuerbäume und Glitzerblumen zerrissen. Mittelpunkt der Feier war ein auf dem Dorfplatz aufgestellter Tisch. Darauf häuften sich die Gaben für die Götter: Beispiele der

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