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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Gebot verlangt, die Kindesliebe soweit zu treiben, daß daneben nichts anderes mehr Gültigkeit hat. Wäre das so, hätte kein Sohn je Zeit oder Gelegenheit, einen Sohn zu zeugen, der wiederum ihn in Ehren hält.
    Dieser Kong Fu-tze oder Meister Kong, von dem der Junge gesprochen hatte, war ein längst dahingeschiedener Han-Philosoph, der Begründer einer der drei Hauptreligionen dieser Menschen. Die drei Glauben waren sämtlich in zahllose einander widersprechende und einander bekämpfende Sekten zersplittert; alle drei waren vermischt mit allerlei anderen weitverbreiteten Überzeugungen und durchwachsen mit Spuren aller möglichen weniger hochstehenden Kulte -der Verehrung von Göttern und Göttinnen, Dämonen und Dämoninnen, Naturgeistern und altem Aberglauben, doch zur Hauptsache handelte es sich bei den dreien um: Buddhismus, Tao und die Lehren des Kong Fu-tze.
    Ich habe bereits erwähnt, daß der Buddhismus, der den Menschen eine Erlösung von den Härten dieser Welt durch ständiges Wiedergeborenwerden verspricht, das ihm letztlich gestattet, zum Nichts des Nirvana aufzusteigen. Desgleichen habe ich das Tao erwähnt, den Weg oder den Pfad, der den Menschen die Hoffnung erlaubt, in glücklichem Einklang mit allen guten Dingen der ihn umgebenden Welt zu leben. Die Vorschriften betreffen weniger das Jetzt und das Nachher, als vielmehr alles Vergangene. Vereinfacht ausgedrückt sah der Anhänger des Buddhismus der Leere der Zukunft entgegen. Ein Anhänger des Tao tat sein bestes, die Fülle der Gegenwart auszukosten. Anhänger der Lehren des Kong Fu-tze jedoch hatten sich vor allem mit dem Vergangenen, dem Alten und Abgelebten zu beschäftigen.
    Kong Fu-tze predigte Hochachtung vor der Tradition, und genau das ist es, wozu seine Lehren wurden: Tradition. Er bestimmte, daß jüngere Brüder die älteren zu verehren hätten, eine Frau den Gatten, alle die Eltern, diese wiederum die Älteren der Gemeinschaft und so weiter. Die Folge davon war,daß nicht den Besten, sondern den Ältesten die meiste Ehre zuteil wurde. Jemand, der heldenhaft gegenüber widrigen Umständen die Oberhand behalten hat - um etwa einen bemerkenswerten Sieg zu erringen oder sich sonst auszuzeichnen -, galt weniger als jemand, der nur träge dagesessen, dahinvegetiert und ein ehrwürdiges Alter erreicht hatte. Alle der besonderen Leistung gebührende Hochachtung richtete sich ausschließlich auf das, was es geschafft hatte, besonders alt zu werden. Ich halte das nicht für vernünftig. Ich hatte genug alte Narren kennengelernt -und zwar nicht nur in Manzi -, um zu wissen, daß Alter nicht notwendigerweise Weisheit, Würde, allgemeine Geltung und Ansehen bringt. Die Jahre tun das nicht von sich aus; das tun sie nur, wenn sie Erfahrungen und Wissen, Leistung und bewältigte Aufgaben enthalten, was man von den meisten Menschen im Alter nicht behaupten kann.
    Schlimmer noch. Wenn auch ein noch lebender Großvater geehrt zu werden hatte, seinem Vater und Großvater, die ja nun schon tot und dahin und noch älter waren -no xe vero? -, hatte womöglich noch mehr Verehrung entgegengebracht zu werden. So zumindest wurden die Lehren von den Anhängern gedeutet, und diese Lehren wiederum hatten das Bewußtsein aller Han geprägt, auch das jener, die bekannten, an Buddha oder das Tao oder den Tengri der Mongolen oder an die nestorianische Version des Christentums oder irgendeine der minderen Religionen zu glauben. Es herrschte ganz allgemein die Haltung des »Wer weiß? Es hilft vielleicht nicht, aber schaden kann es auch nicht, vor der Gottheit des Nächsten, und mag sie noch so absurd sein, ein Räucherstäbchen abzubrennen«. Selbst jene Han, die man vielleicht mit größtem Recht als rationale Menschen bezeichnen kann, jene, die zum ne storianischen Christentum bekehrt worden waren -und die niemals vor dem fetten Götterbild des Nachbarn, den Knochen, aus denen heraus der shamàn die Zukunft abliest, den ratgebenden Stengeln des Taoisten oder wem auch immer ko-tou machen würden -, meinten, daß es nicht schaden, sondern höchstens nützen könne, vor den eigenen Ahnen ko-tou zu machen. Jemand kann in allen materiellen Dingen arm sein, doch selbst der armseligste Wicht besitzt ganze Völkerscharen von Ahnen. Ihnen die gebotene Ehre zu erweisen, ließ jedes lebende Mitglied vom Stamme der Han ständig auf dem Bauch kriechen -sofern nicht wirklich körperlich, so doch zumindest in seiner ganzen Haltung dem Leben gegenüber.
    Das Han-Wort miàn-tzu

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