Marco Polo der Besessene 2
um dem König von Ava nahezulegen, er möge doch die Freundlichkeit besitzen, diese Flüchtlinge zu uns zurückzuschicken, wo sie schließlich hingehören. Leider hatte man unseren Gesandten nicht darauf hingewiesen, daß alle, die mit dem König von Ava sprechen wollen, sich vorher die Schuhe ausziehen müssen. Als er es nicht tat, fühlte der König sich beleidigt und befahl seinen Wachen: ›Dann nehmt ihm statt dessen die Füße ab!‹ Nun, unseren Gesandten zu verstümmeln, war selbstverständlich eine Beleidigung, die sich gegen uns richtete, und reichte dem Khanat, Ava den Krieg zu erklären. Euer alter Freund Bayan befindet sich auf dem Marsch dorthin.«
»Ava?« fragte ich. »Ist das ein anderer Name für Champa?«
»Nicht eigentlich. Unter Champa versteht man das gesamte Tropenland der Dschungel, Elefanten und Tiger mit seiner Feuchtigkeit und Hitze. Die Menschen, die dort leben, gehören wer weiß? -zehn oder zwanzig verschiedenen Stämmen an, und jeder einzelne bildet ein eigenes winziges Königreich, und jedes Königreich wieder hat verschiedene Namen, je nachdem, wer spricht. Aba zum Beispiel heißt auch Myama und Burma und Mien. Die Shan, die aus Yun-nan geflohen sind, haben in einem Königreich Zuflucht gesucht, das frühere Shan-Auswanderer in Champa schon vor langer Zeit gegründet haben und unter den Namen Sayam und Muang Thai und Sukhothai bekannt ist. Es gibt dort unten aber auch noch andere Königreiche -Annam und Cham, Layas und Khmer und Kambuja - und vielleicht noch viele mehr.« Und, wieder mit der größten Lässigkeit, fügte er noch hinzu: »Wo wir uns schon Ava einverleiben, können wir gleich zwei oder drei andere mit hinzunehmen.«
Wie ein richtiger Kaufmann erklärte ich darauf: »Dann brauchten wir nicht mehr die unerhörten Preise zu bezahlen, die sie für ihre Gewürze, ihr Holz, ihre Elefanten und ihre Rubine fordern.«
»Eigentlich hatte ich vor«, sagte Chingkim, »von hier aus weiter nach Süden zu reisen, Bayans Marschroute zu folgen und mich selbst in diesen tropischen Landen ein wenig umzusehen. Aber mir ist wirklich nicht danach, eine so anstrengende Reise zu unternehmen. Ich werde eine Zeitlang hier bei Euch und Huisheng der Ruhe pflegen und dann zurückkehren nach Kithai.«
Diese Gleichgültigkeit und Lässigkeit oder auch Verzagtheit kannte ich sonst gar nicht an Prinz Chingkim, und als ich ihn mir genauer ansah, merkte ich, daß er in der Tat ziemlich mitgenommen und müde aussah. Ein wenig später, als er und ich ein paar Schritte in den Wald hineingegangen waren, um allein für uns das Wasser abzuschlagen, fiel mir noch etwas auf, und ich spielte vorsichtig darauf an: »Ihr müßt in irgendeiner Herberge unterwegs das dai-huang genannte schleimige und rote Gemüse vorgesetzt bekommen haben. An unserer Tafel habt Ihr es bestimmt nicht bekommen, denn ich mag es nicht.«
»Ich auch nicht«, sagte er. »Und ich bin auch in letzter Zeit nicht vom Pferd gefallen, was die Ursache dafür sein könnte, daß mein Wasser rosa ist wie dies hier. Aber das ist schon eine ganze Weile so. Der Hofarzt hat mich dagegen behandelt -auf Han-Manier: indem er mir Nadeln in die Füße gesteckt und kleine Hütchen moxa auf der Wirbelsäule abgebrannt hat. Immer wieder habe ich diesem Idioten Hakim Gansui gesagt, daß ich mein Wasser weder durch die Füße lasse noch durch…« Er unterbrach sich und schaute in den Baum hinauf. »Horcht, Marco. Ein Kuckuck. Wißt Ihr, was die Han meinen, wenn der Kuckuck ruft?«
Chingkim kehrte in der Tat heim, wie ihm der Kuckuck geraten, doch nicht, bevor er nicht rund einen Monat unsere Gesellschaft und das friedliche Hang-zho genossen hatte. Ich freute mich, daß er diesen Monat einfacher Freuden erleben durfte, fern von den Anforderungen des Staates und seines Amtes, denn als er heimkehrte, kehrte er in eine weit fernere Heimat denn Khanbalik zurück. Es dauerte nicht lange, und Kuriere auf Pferden mit weiß-violetten Decken kamen nach Hang-zho gesprengt, um dem Wang Agayachi auszurichten, er solle seine Stadt in diese Trauerfarben der Han und der Mongolen hüllen, denn sein Bruder Chingkim sei nur in die Hauptstadt zurückgekehrt, um zu sterben.
Wie der Zufall es wollte, hatte unsere Stadt die Trauerzeit für den Kronprinzen kaum hinter sich und gerade angefangen, die Flaggen mit dem Trauerflor einzuholen, da kamen neuerlich Kuriere, diesmal mit dem Auftrag, sie hängenzulassen. Diesmal galt die Trauer dem Ilkhan Abagha von Persien, der
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