Marco Polo der Besessene 2
gleichfalls gestorben war -und zwar nicht im Kampf gefallen sondern an einer Krankheit. Der Verlust eines Neffen war für Kubilai selbstverständlich keine so große Tragödie wie der seines Sohnes Chingkim und hatte auch kein so ausgedehntes Getuschel um die Frage der Nachfolge zur Folge. Abagha hatte einen erwachsenen Sohn, Arghun, hinterlassen, der sofort das Ilkhanat von Persien antrat -und sogar soweit ging, eine der persischen Gattinnen seines verstorbenen Vaters zu ehelichen, um seinen Anspruch auf diesen Thron noch zu festigen. Doch Chingkims Sohn Temur, der nächste Erbe des gesamten Mongolenreiches, war noch minderjährig. Kubilai war, wie Chingkim gesagt hatte, bereits fortgeschrittenen Alters. Die Menschen fürchteten, wenn er bald stürbe, könnte das Khanat unter dem Hin und Her von Thronanwärtern, die älter waren als Temur, gebeutelt werden; denn viele Onkel und Vettern und dergleichen würden nur allzu bereit sein, ihn zu vertreiben und das Khanat an sich zu reißen. Doch im Moment litten wir nur unter dem Kummer über Chingkims vorzeitigem Ableben. Kubilai ließ sich durch seine Trauer nicht von den Staatsgeschäften ablenken, und ich ließ mich von der meinen nicht daran hindern, regelmäßig Manzis Tribut an das Schatzamt zu schicken. Kubilai führte weiterhin Krieg gegen Ava und weitete -wie Chingkim vorhergesagt hatte -die Mission des Orlok Bayan sogar noch aus und stellte es ihm frei, jedes der Ava benachbarten Königreiche an sich zu bringen, das reif wäre für eine Eroberung.
Das Bewußtsein, daß soviel in der Welt draußen geschah, während ich in Hang-zho einfach im Luxus schwelgte, machte mich unruhig. Selbstverständlich war diese Unruhe von der Vernunft her nicht zu begründen. Man bedenke, was ich alles hatte! Ich war in Hang-zho eine hoch angesehene Persönlichkeit. Nicht einmal meines kwai-farbenen Haars wegen wurde ich mehr schief angesehen, wenn ich durch die Straßen ging. Ich hatte viele Freunde, es ging mir gut, und ich war wunschlos glücklich mit meiner ebenso liebevollen wie liebenswerten Huisheng. Wir beide hätten - wie es zum Schluß eines französischen Vers-Epos hieß -glücklich und in Freuden leben können bis ans Ende unserer Tage. Ich besaß wirklich alles, was man sich nur wünschen kann. Alles, was das Herz begehrte, war in dieser Hoch-Zeit, auf dem Gipfelgrat meines Lebens, mein. Auch war ich nicht mehr der bedenkenlose Jüngling, für den es nur eine unendliche Folge von »Morgen« gibt. Es lag auch viel »Gestern« hinter mir. Ich war über dreißig und hatte schon das eine oder andere graue Haar auf meinem sonst dämonenfarbenen Schopf entdeckt; eigentlich hätte ich daran denken sollen, die Abfahrt von der Höhe meines Lebens sanft und glatt verlaufen zu lassen.
Dennoch war ich unruhig, und aus der Unruhe wurde unerbittliche Unzufriedenheit mit mir selbst. Ich hatte mich gut gemacht in Manzi, gewiß, aber sollte ich mich jetzt für den Rest meiner Tage im Widerschein dieses Glanzes sonnen? Nun das große Werk vollendet war, erforderte es nicht mehr viel, es einfach fortzusetzen. Dazu brauchte ich nur mein yin-Siegel unter Empfangsbestätigungen und Begleitschrei-ben zu setzen und einmal im Monat meine Kuriere nach Khanbalik zu schicken. Ich leistete auch nicht mehr als der Vorsteher eines Pferdepostens, und so kam ich zu dem Schluß, nunmehr zu lange nur das genossen zu haben, was ich hatte. Was mir fehlte, war der Wunsch nach etwas, das ich nicht hatte. Die Vorstellung, hier in Hang-zho alt zu werden wie ein still vor sich hin vegetierender Patriarch der Han und auf nichts anderes stolz zu sein als darauf, ein gesegnetes Alter erreicht zu haben, ließ mich erschaudern.
»Du wirst nie alt werden, Marco«, erklärte Hui-sheng mir, als ich ihr gegenüber das Thema anschnitt. Liebevoll und belustigt und doch aufrichtig sah sie mich an, als sie mir das zu verstehen gab.
»Ob alt oder nicht«, sagte ich. »Ich finde, wir haben jetzt in Hang-zho lange genug im Luxus gelebt. Laß uns weiterziehen.«
Sie stimmte dem zu: »Laß uns weiterziehen.«
»Wohin möchtest du denn, Liebling?«
Einfach: »Wohin auch immer du gehst.«
6
So kam es, daß der nächste nach Norden reitende Kurier von mir eine Botschaft an den Khakhan mitnahm, in dem ich respektvoll darum bat, von meinem längst erfüllten Auftrag entbunden zu werden und meinen Titel Kuan samt zugehörigem Korallenknopf ablegen zu dürfen; man möge mir erlauben, nach Khanbalik zurückzukehren, wo ich
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