Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
Ofen, gewissermaßen -, und wir alle fanden es durchaus schmackhaft, wenn auch reichlich zähfaserig. Zwar freuten wir uns darauf, die Abendmahlzeit der Mien zu teilen, doch als wir ins Dorf zurückkehrten, stellten wir fest, daß auch noch der letzte Brocken des Einhornfleischs mit der übelriechenden nuocmam-Sauce übergossen worden war. So dankten wir und aßen statt dessen etwas Fisch, den unsere Ruderer im Fluß gefangen hatten.
    Wiewohl die Mien behaupteten, Buddhisten zu sein, war das einzige, das entfernt an religiöses Verhalten erinnerte und das wir in der langen Zeit in Ava erlebten, der übertrieben ängstliche Umgang mit den nat-Dämonen. Die Mien redeten ihre Kinder, mochten diese auch ganz andere Namen haben, unbeirrt mit »Wurm« oder »Schwein« an, damit die nat sie keiner Beachtung wert erachteten. Obwohl hierzulande reichlich Öl vorhanden war - Fischtran, Sesamöl und sogar Naphta, das an manchen Stellen aus dem Dschungelboden sickerte -, kamen die Mien nie auf den Gedanken, das Zuggeschirr ihrer Elefanten oder die Räder ihrer Karren und Wagen zu ölen -weil, wie sie behaupteten, das Quietschen die nat fernhalte. In einem Dorf, wo ich Frauen Wasser von einem weit entfernt liegenden Brunnen holen sah, schlug ich vor, eine Rinne aus gespaltenem zhu-gan-Rohr zu bauen und das Wasser mitten ins Dorf zu leiten. »Amé!« riefen die Dörfler, das würde ja den »Wassernat«, dessen Heimat der Brunnen sei, gefährlich in die Nähe menschlicher Wohnstätten bringen. Als die Mien Hui-sheng zum ersten Mal abends vorm Schlafengehen den Weihrauchbrenner anzünden sahen, kam von ihnen gleichfalls ein halbunterdrücktes »Amé«, und sie ließen uns über Yissun ausrichten, sie benutzten nie Weihrauch oder Duftstoffe -was man uns nicht erst zu sagen brauchte -, aus Angst davor, daß der Wohlgeruch die nat anlocken könnte.
    Als jedoch unsere Reisegesellschaft den Irawadi immer weiter hinunterfuhr in bewohnteres Gebiet, stellten wir fest, daß viele Dörfer einen Tempel aus Lehmziegeln besaßen. Dieser wurde p'hra genannt, war ein Rundbau, der aussah wie eine große, auf den Boden gestellte Handglocke, deren schlanker Griff in die Luft hineinragte. In jedem dieser p'hra lebte ein buddhistischer lama, hier pongyi genannt, die mit geschorenem Kopf umherliefen, ein gelbes Gewand trugen und etwas gegen diese Welt im allgemeinen und ihre Landsleute, die Mien, im besonderen, ja gegen das Leben selbst etwas hatten und von einer geradezu krankhaften Gier besessen waren, Ava zu verlassen und in das Nirvana einzugehen. Immerhin lernte ich einen kennen, der nicht ganz so ungesellig war und sich herabließ, sich mit Yissun und mir zu unterhalten. Dieser pongyi erwies sich als dermaßen gebildet, daß er sogar schreiben konnte, und er zeigte mir, wie die Mien-Schrift ging. Er konnte der Geschichte, die ich gehört hatte -und derzufolge die frühere Geschichte der Mien in ihrem Magen geendet war -nichts hinzufügen, wußte jedoch, daß es bis vor zweihundert Jahren in Ava keine Schrift gegeben hatte; damals jedoch habe der König Kyansitha ganz von sich aus ein Alphabet erfunden.
    »Der gute König war bemüht«, sagte er, »keinen einzigen der Buchstaben eckig oder mit Winkeln versehen zu gestalten.« Er zog die Buchstaben mit dem Finger in den staubigen Boden seiner p'hra nach. »Unser Volk hat nichts außer Palmblättern, darauf zu schreiben, und nur Stecken, sie damit einzuritzen, und eckige Schriftzeichen könnten die Blätter zerfetzen. Aus diesem Grunde sind alle Buchstaben gerundet und können fließend
    nachgezeichnet werden.«
    »Cazza beta!« entfuhr es mir. »Selbst ihre Schrift ist träge!«
    Bis jetzt hatte ich die Trägheit und Schlampigkeit der Mien auf das Klima in Ava geschoben, das weiß Gott drückend und enervierend war. Doch der freundliche pongyi gab von sich aus die wirkliche und erstaunliche und furchtbare Wahrheit über die Mien preis. Sie hatten diesen Namen, berichtete er, angenommen, als sie nach Champa gekommen und dieses Land besiedelt hatten, das jetzt Ava heiße -und das, so sagte er, sei vor etwa vierhundert Jahren geschehen.
    »Wer waren sie denn ursprünglich?« fragte ich. »Und woher kamen sie?«
    Die Antwort lautete: »Aus To-Bhot.«
    Nun, das erklärte alles über die Mien! Sie waren wirklich nichts weiter als ein verirrter Haufen vom Bevölkerungsüberschuß der unseligen Bho aus To-Bhot. Wenn die Bho schon in der erfrischenden klaren Luft ihrer Hochgebirgsheimat geistig unbeweglich

Weitere Kostenlose Bücher