Marco Polo der Besessene 2
im entscheidenden Moment schon einen Rippenstoß geben.«
Just da trat ein halbes Dutzend Männer ein, stellte sich in einer Reihe auf und richtete völlig teilnahmslos die Blicke auf uns. Die Männer unterschieden sich in nichts von den Feiernden draußen auf dem Platz, nur daß sie goldfadendurchwirkte dhotis anhatten und über dem bloßen Oberkörper sogar feine Jacken und auf dem Kopf geradezu säuberlich gewickelte tulbands. Seit meinem Eintreffen in Indien begegnete ich zum erstenmal Angehörigen der Oberklasse, wahrscheinlich dem Ministergefolge des Raja, und so hob ich zu einer Ansprache an, die Tofaa übersetzen sollte, sprach sie erst einmal mit »Meine Herren« an und schickte mich an, mich vorzustellen.
»Pst!« machte Tofaa und zupfte mich am Ärmel. »Das sind doch nur die Rufer und Glückwünscher des Raja.«
Ehe ich fragen konnte, was das denn wären, gab es wieder Bewegung an der Tür, und an der Spitze einer anderen Gruppe von Höflingen hielt der Raja feierlich seinen Einzug. Augenblicklich blökten die sechs Rufer und Glückwünscher -und ob man es glaubt oder nicht, sie blökten wie aus einem Mund:
»Heil, heil! Seine Hoheit, der Maharajadhiraj Raj Rajeshwar Narendra Kami Shriomani Sawai Jai Maharaja Sri Ganga Muaziam Singhji Jah Bahadur!«
Später ließ ich mir das ganz langsam und genau von Tofaa wiederholen, um es aufschreiben zu können -nicht nur, weil der Titel so über die Maßen grandios war, sondern auch, weil es ein so alberner Titel war für einen kleinen, schwarzen, älteren, kahlköpfigen, kugelbäuchigen und öligen Hindu.
Für einen Moment schien es selbst Tofaa die Sprache zu verschlagen. Gleichwohl stieß sie mir einen Ellbogen zwischen die Rippen und kniete sich hin -und da sie keine kleine Frau war, entdeckte sie, daß sie selbst im Knien immer noch um ein weniges größer war als der kleine Raja; deshalb duckte sie sich noch tiefer, nahm eine noch unterwürfigere Haltung ein und begann stockend: »Hoheit… Maharajadhiraj… Raj…«
»Hoheit genügt«, sagte er großmütig.
Woraufhin die Rufer und Beglückwünscher brüllten. »Seine Hoheit sind Wächter über die ganze Welt!«
Mit einer leutseligen und bescheidenen Geste gebot er ihnen Schweigen. Nun nahmen sie für eine Zeitlang Abstand vom Blöken, bewahrten aber auch nicht vollständig Schweigen. Jedesmal, wenn der kleine Raja irgend etwas machte, machten sie murmelnd ihre Bemerkung dazu, wobei sie es wiederum schafften, gleichsam wie aus einem Munde zu murmeln -und etwa folgendes von sich zu geben: »Seht, Seine Hoheit nahmen auf dem Thron seines Herrschaftsbereiches Platz« und: »Seht, mit welcher Anmut Seine Hoheit beim Gähnen die Hand vor den Mund legen und sie behutsam vor- und zurückbewegen…«
»Und wer«, wandte sich der kleine Raja an Tofaa, »ist dies hier!« Sagte es und bedachte mich mit einem überaus hochmütigen Blick, denn ich hatte mich überhaupt nicht hingekniet.
»Sagt ihm«, wandte ich mich auf farsi an Tofaa, »ich sei Marco Polo der Unbedeutende und Unbesungene.«
Aus dem hochmütigen Blick des kleinen Rajas wurde ein mißvergnügter Blick, und er sagte -gleichfalls auf farsi: »Ein Mitweißer, eh? Immerhin einer mit einer weißen Haut. Wenn Ihr ein christlicher Missionar seid, hebt Euch hinweg!«
»Seine Hoheit fordern den niedrigen Christen auf, sich hinwegzuheben«, murmelten die Rufer und Glückwünscher.
Ich sagte: »Ich bin zwar Christ, Hoheit, aber…«
»Dann macht, daß Ihr fortkommt, auf daß Ihr nicht das Schicksal Eures Vorgängers Santome erleidet. Dieser besaß die ungeheuerliche Stirn, hierherzukommen und zu predigen, wir sollten einen Zimmermann anbeten, dessen Jünger alle Fischer waren. Unerhört! Zimmerleute wie Fischer gehören der niedrigsten jati an, wo sie nicht gar regelrechte paraiyar sind.«
»Seine Hoheit sind zu Recht und rechtschaffen entsetzt.«
»Ich befinde mich jedoch in der Tat auf einer Mission, Hoheit
-allerdings keiner, bei der Predigten zu befürchten sind.« Ich beschloß, einfach zu improvisieren. »Vor allem lag mir daran, etwas von Eurem großen Volke zu sehen und« -es kostete mich zwar Mühe, aber ich brachte die Lüge über die Lippen -»es zu bewundern.« Mit wedelnder Handbewegung wies ich auf die Fenster, durch welche die traurige Musik und das mißmutige Festgemurmel hereindrang.
»Ah, Ihr habt mein Volk gesehen, wie es froh und heiter ist!« rief der kleine Raja aus und machte plötzlich nicht mehr ein Gesicht wie drei Tage
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