Marco Polo der Besessene 2
Weg zu Boden gegangen ist. Jedes Pferd wird über ihn hinwegspringen oder einen Bogen um ihn herum machen oder notfalls sogar einen Purzelbaum schlagen, um einem gestürzten Menschen auszuweichen. Deshalb warf ich mich einfach bäuchlings auf die Straße und zog Tofaa mit mir, obwohl diese in hellem Entsetzen aufschrie. Ich sorgte dafür, daß wir beide still liegen blieben, und wie ich erwartete hatte, teilte die erschrockene Herde sich vor uns, schloß sich hinter uns wieder und donnerte links und rechts an uns vorüber. Auch den bereits von ihren eigenen Verwandten, Freunden und Nachbarn zu Tode getrampelten Alten und Kindern der Hindus wichen sie aus.
Das letzte Pferd verschwand am Nordende der Straße, der Staub senkte sich hernieder, und die Dörfler kletterten von Dächern und Bäumen herunter oder kamen von dort herzugelaufen, wohin sie sich hatten flüchten können. Sie hoben augenblicklich mit schrillem Kummer und Wehklagen an, als sie ihre flachgewalzten Toten aufsammelten, schüttelten drohend die Fäuste gen Himmel und schleuderten dem Zerstörergott Siva ihre Verwünschungen entgegen, weil dieser so herzlos gewesen war, so viele von ihren Unschuldigen und Kranken vernichtet zu haben.
Tofaa und ich kehrten zurück zu unserer Mahlzeit. Schließlich kehrten auch unsere Gastgeber zurück und zählten die Häupter ihrer Lieben. Sie hatten keine verloren, sondern waren nur auf ein paar von ihnen getreten; trotzdem litten sie unter dem gleichen Kummer und unter der gleichen Verzweiflung wie der Rest des Dorfes - er und sie machten an diesem Abend, nachdem wir alle zu Bett gegangen waren, nicht einmal surata -und konnten uns nicht mehr über das aswamheda erzählen, als daß es sich um ein Phänomen handelte, das etwa einmal im Jahr vorkomme und das Werk des grausamen Rajas von Kumbakonam sei.
»Ihr wäret gut beraten, Wanderer, diese Stadt nicht aufzusuchen«, sagte die Frau des Hauses. »Warum sich nicht hier im ruhigen und zivilisierten und auf gute Nachbarschaft bedachten Jayamkondacholapuram niederlassen? Es ist reichlich Raum für Euch da, jetzt, wo Siva so viele von unseren Leuten vernichtet hat. Warum darauf bestehen, nach Kumbakonam zu reisen, das auch Schwarze Stadt genannt wird?«
Ich sagte, wir hätten dort etwas zu erledigen, und fragte, warum die Stadt so genannt werde.
»Weil - schwarz ist der Raja von Kumbakonam, schwarz sein Volk, schwarz sind die Hunde und schwarz die Mauern, schwarz das Wasser und schwarz die Götter und schwarz die Herzen der Bewohner von Kumbakonam.«
3
Wir ließen uns durch die Warnung nicht abhalten und setzten unsere Reise gen Süden fort. Schließlich setzten wir über einen stinkenden Abwasserkanal über, der den würdigen Namen Kolerun-Fluß eigentlich gar nicht verdient hatte, und auf der anderen Seite war Kumbakonam.
Die Stadt war viel größer als jede andere, durch die wir bisher gekommen waren, die Straßen waren dreckiger und von tieferen Rinnen mit stehendem Urin darin gesäumt, es faulte eine größere Vielfalt von Abfällen in der heißen Sonne, mehr Aussätzige klapperten warnend mit ihren Rasseln, man stieß häufiger auf Leichen von Bettlern, Kadavern von toten Hunden, die jedermann sichtbar verwesten, und die Luft war durchdringender von den Gerüchen von kàri, Bratfett, Schweiß und ungewaschenen Füßen erfüllt. Nur war die Stadt nicht wirklich schwärzer oder mit Oberflächenschmutz überzogen als irgendeine der kleineren Ortschaften, die wir bisher erlebt hatten, und die Bewohner besaßen auch keine dunklere Hautfarbe und waren auch nicht dicker mit Schichten von Grind und Schmutz bedeckt als die Menschen anderswo. Selbstverständlich wimmelte es hier von mehr Menschen, als wir sie woanders gesehen hatten, und wie jede Stadt hatte Kumbakonam viele exzentrische Gestalten angezogen, die ihre Heimatdörfer vermutlich auf der Suche nach größeren Möglichkeiten verlassen hatten. So sah ich zum Beispiel unter der Menge auf der Straße eine ganze Reihe von Leuten, die einerseits grellfarbene weibliche saris trugen, andererseits jedoch die unordentlich geschlungenen tulbands, die für gewöhnlich nur Männer anhaben.
»Das sind die ardhanari«., erklärte Tofaa. »Wie würdet Ihr sie nennen? Androgyne. Hermaphroditen. Wie Ihr seht, haben sie Brüste wie Frauen. Was Ihr aber nicht sehen könnt - es sei denn, Ihr zahltet für dieses Vorrecht -, ist, daß sie sowohl die Geschlechtsorgane von Männern wie von Frauen aufweisen.«
»Hm, hm. Ich
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