Marco Polo der Besessene 2
Sie flüsterte: »Der Yogi scheint einige Schwierigkeiten zu haben.«
Das konnte man wohl sagen. Er tanzte jetzt auf der Stelle, und zwar lebhafter, als das Tanzmädchen vor ihm getanzt hatte, und seine Augen quollen ihm geröteter aus den Höhlen als nach der Vorführung des palang-Schwingens. Auch hatte sein Gezeter längst nichts Beschwörendes mehr, sondern war selbst für meine Ohren als schmerzhaftes Schreien zu erkennen. Sein abgerissener kleiner Helfer, der Junge, kam herbeigelaufen und zerrte an dem Stein, in dem er gefangen saß, woraufhin sein Herr und Gebieter einen angstvollen Kreischton von sich gab. Jetzt eilten auch die sechs Rufer zu Hilfe herbei, es gab ein Durcheinander von Händen am violett angelaufenen Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit, bis der schmerzverzerrte Yogi schreiend vor ihnen zurückwich und zuckend und mit den Fäusten auf den Boden hämmernd niederfiel.
»Schafft ihn fort!« befahl der kleine Raja mit angewiderter Stimme. »Bringt den alten Gauner in die Küche. Versucht, ihn mit Fett einzuschmieren.«
Der Yogi wurde aus dem Saal getragen, was nicht ganz ohne Schwierigkeiten vonstatten ging, da er sich krümmte und sich wand wie ein Fisch an der Angel und wie ein verletzter Elefant trompetete. Die Darbietung schien vorüber. Verlegen schweigend saßen wir vier an der Tafel und lauschten den schwächer werdenden Schreien den Korridor hinunter. Ich war der erste, der die Sprache wiederfand. Selbstverständlich sagte ich nicht, daß dies mich nur weiter in meiner Meinung über Hindutorheit und -unsinnigkeit bestärkt habe. Statt dessen sagte ich gleichsam entschuldigend:
»Das, Hoheit, geschieht bei den niederen Tieren dauernd. Jeder hat doch schon Hund und Hündin gesehen, die nicht auseinanderkönnen, bis die fest zupackende yoni der Hündin lockerläßt und der geschwollene linga des Rüden erschlafft.«
»Kann sein, daß das bei dem Yogi noch eine Zeitlang dauert«, sagte Meister Khusru immer noch ein wenig belustigt. »Die Stein-yoni wird nicht loslassen, und sein linga kann infolgedessen auch nicht erschlaffen.«
»Bah!« rief der kleine Raja außer sich vor Wut. »Ich hätte darauf bestehen sollen, daß er sich in die Luft erhebt und schwebt und nichts Neues versucht. Laßt uns schlafen gehen.« Mit diesen Worten stapfte er zur Tür hinaus; diesmal waren keine Rufer da, ihm und der Welt zur Anmut seines Ganges zu gratulieren.
4
»Ich habe Euren Buddhazahn, Marco-wallah.« Das war das erste, was der kleine Raja mir sagte, als wir uns am nächsten Tag wiedersahen; und er sagte es genauso fröhlich, wie er hätte sagen können: »Einen Zahn, der mir verdammt weh tut.«
»Schon, Hoheit? Aber das ist ja großartig. Ihr sagtet, es könnte einige Zeit darüber hingehen, bis Ihr ihn fändet.«
»Das hatte ich angenommen«, sagte er verdrießlich.
Ich verstand, warum er so brummig war, als er mir einen Korb herüberschob und ich hineinblickte. Er war zur Hälfte mit Zähnen gefüllt, die meisten davon vergilbt, vermoost und kariös, eine Reihe von ihnen an der Wurzel noch ganz blutig, und etliche, die offensichtlich nicht von Menschen stammten -Reißzähne von Hunden und Hauer von Schweinen.
»Über zweihundert«, sagte der kleine Raja säuerlich. »Und immer noch kommen Leute und bringen neue. Männer, Frauen, sogar heilige naga-Bettler, selbst ein Tempel-sadhu. Sie kommen von überallher. G-r-r. Jetzt könnt Ihr nicht nur Eurem Raja Khakhan einen Buddhazahn zum Geschenk machen, sondern jedem einzelnen Buddhisten in Eurem Bekanntenkreis.«
Ich bemühte mich, mein Lachen zu unterdrücken, denn sein Zorn war berechtigt. Er hatte mir gegenüber großgetan mit der Rechtschaffenheit seines Volkes und der frommen Anhänglichkeit an den Hinduglauben -und da kamen sie nun in hellen Scharen und gestanden, die Reliquie des als schändlich geltenden Buddhismus zu besitzen -was bedeutete, daß sie außerdem auch noch logen.
Ohne das Gesicht zu verziehen, fragte ich : »Muß ich für jeden dieser Zähne eine Belohnung zahlen?«
»Nein«, sagte er und knirschte mit den eigenen. »Das übernehme ich. Die Ruchlosen kommen durch die Vordertür
herein, übergeben ihre falschen Zähne dem Verwalter und werden durch die Hintertür an den Hofhenker weitergeleitet, der sie im Hinterhof mit Begeisterung belohnt.«
»Aber Hoheit!« rief ich aus.
»Ach, ich gewähre ihnen nicht die karavat«, beeilte er sich, mir zu versichern. »Die bleibt Männern vorbehalten, die sich einigermaßen
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