Marco Polo der Besessene 2
Auch ist er ein Mann der Neuerungen. So rief er ein jährliches Wettrennen zwischen gòndole und batèli auf dem canale grande ins Leben und nannte dies die Regata, weil für die Gewinner Preise ausgesetzt waren. In jedem der seither vergangenen vier Jahre hat sich die Regata zu einem lebendigeren, farbenfroheren und beim Volk beliebteren Schauspiel entwickelt -jetzt ist es ein Fest, das einen ganzen Tag dauert mit Rennen für Boote mit einem oder zwei Rudern, ja, sogar zwischen Booten, die von Frauen gerudert werden, und die Preise werden immer prächtiger und werden immer begehrter - bis die Regata genauso zu einem jährlich wiederkehrenden Schauspiel und Volksfest geworden ist wie die Vermählung mit dem Meere.
Der Doge Soranzo war es auch, der mich aufforderte, wieder ein öffentliches Amt zu übernehmen, und zwar diesmal das eines der Proveditorí del Arsenal, einen Posten, den ich immer noch innehabe. Eigentlich handelt es sich dabei um ein reines Ehrenamt wie das des supracomito auf einem Kriegsschiff, doch begebe ich mich tatsächlich ab und zu an jenes Ende der Insel, um so zu tun, als überwachte ich die Werft tatsächlich. Es macht mir Spaß, mich in dem ewigen Dunst von kochendem Pech zu bewegen, zuzusehen, wie an einem Ende der Helling in Form eines Kielbaums eine Galeere anfängt zu wachsen -und dann Gestalt anzunehmen, während es langsam weiterwandert von einer Gruppe von Handwerkern zur anderen, die erst Wanten einsetzen, diese dann beplanken und das ganze Teil weiterschieben durch die Schuppen, wo Arbeiter von beiden Seiten den Rumpf und die Laderäume mit allem Nötigen ausstatten, von Tauwerk und Segeln bis zu Waffen und haltbarem Proviant, während das Deck und das tote Werk noch von anderen arsenaloti fertiggestellt wird - bis es hinuntergleitet in das Arsenàl-Becken, ein funkelnagelneues Schiff, das zum Höchstpreis an einen Käufer versteigert werden konnte, bereit, die Ruder einzutauchen oder die Segel zu heißen und sich auf die Reise zu begeben. Das versetzt jemandem, der nicht mehr auf Reisen geht, jedesmal einen Stich.
Ich werde nicht mehr fortgehen, nirgendwohin mehr, und in mancher Beziehung ist es, als wäre ich nie fortgewesen. Ich bin immer noch angesehen in Venedig, allerdings als etwas, das von jeher dazugehört hat, nicht als etwas Neues, und die Kinder rennen auf den Straßen auch nicht mehr hinter mir her. Gelegentlich kommt es immer noch vor, daß jemand aus einem anderen Land, wo die Weltbeschreibung gerade zum ersten Mal erschienen ist, mich aufsucht, doch meine venezianischen Mitbürger sind es müde geworden, sich meine Erinnerungen anzuhören, und danken mir auch nicht mehr für meine Anregungen, die ich ihnen aus fernen Ländern vermittelt habe.
Vor noch gar nicht langer Zeit bekam der Schiffsbaumeister auf dem Arsenàl einen hochroten Kopf, als ich ihm des längeren und breiteren auseinandersetzte, daß die Han-Seeleute ihre massiven chuans sicherer mit einem einzigen, in der Mitte des Hecks angebrachten Steuerruder steuerten als die Steuerleute unserer kleineren galeazze mit ihren Doppelrudern -eines an jeder Seite. Geduldig hörte sich der Schiffbaumeister meine Ausführungen an, doch dann, als er davonging, brummte er vernehmlich etwas von »dilettanti, kein bißchen Achtung mehr vor der Tradition«. Doch nur einen Monat später sah ich eine neue Galeere die Helling herunterrutschen, nicht mit dem üblichen lateinischen Segel ausgerüstet, sondern mit Vierecksegeln wie die flämischen Koggen und einem einzigen, in der Mitte des Hecks montierten Steuerruder. Man hat mich zur Probefahrt mit diesem neuen Schiff nicht eingeladen, doch muß alles äußerst zufriedenstellend verlaufen sein, denn jetzt werden auf dem Arsenàl immer mehr solcher Fahrzeuge auf Kiel gelegt. Vor kurzem wurde mir die Ehre einer Einladung zum Abendessen im Palazzo des Dogen Soranzo zuteil. Während des Essens ertönte von der Galerie über dem Speisesaal gedämpft die Musik eine r Kapelle herunter. Als im Gespräch gerade eine Flaute herrschte, sagte ich, an alle gewandt:
»Vor langer Zeit wurde ich im Palast von Pagan, der Hauptstadt Avas in den Champa-Landen, beim Essen von einer Gruppe von Spielleuten unterhalten, die alle blind waren. Ich erkundigte mich bei einem Diener, ob die Blinden in diesem Lande besonders gut Anstellung als Musikanten fänden. Der Diener erklärte: ›Nein, U Polo. Sobald ein Kind musikalische Begabung zeigt, wird es von den Eltern absichtlich geblendet, damit es
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